Wir sagen heute - «Kein Krieg!»
Aber erinnern wir uns, dass unser Land schon
zwanzig Jahre praktisch nicht aus dem Kriegszustand heraus kommt.
Erinnern wir uns, wie und warum der erste Tschetschenien-Krieg
und darauf der zweite Tschetschenien-Krieg begannen.
Erinnern wir uns, dass diese Kriege mit Losungen
begannen — Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, Entwaffnung der
illegalen bewaffneten Einheiten, Verteidigung der russischen Bevölkerung.
Freunde, kommt euch das nicht bekannt vor? Klingen
diese Losungen nicht ziemlich ähnlich wie die aktuellen, mit denen das
militärische Eingreifen der russischen Truppen in das Bruderland, die Ukraine,
gerechtfertigt wird?
Aber in der Tat wurden die Tschetschenien-Kriege
für etwas ganz anderes ausgelöst — um der Gruppierung, die im Kreml sitzt, die
Möglichkeit zu geben, ihre Macht über Russland zu erhalten. Der Krieg wurde als
politische Technologie, als Mittel zur Mobilisierung der Bevölkerung zur
Unterstützung der Regierung genutzt. Für eine undemokratische Staatsmacht gibt
es kein besseres Mittel als den Krieg, um die Opposition zu unterdrücken, die
Medien unter ihre Kontrolle zu stellen, einen bedeutenden Teil der Bevölkerung
einer Gehirnwäsche zu unterziehen, pseudopatriotische Wellen zu schlagen. Unter
Jelzin ist so etwas nicht vorgekommen, Putin jedoch hat Anfang der 2000er Jahre
brillant diese Karte gespielt. Putin ist ein Kriegsmensch, und er stützt sich
auf die Menschen, denen ausgerechnet der Krieg geholfen hat, sich an der Macht
zu etablieren. Der Krieg im Nordkaukasus hat ihm die Möglichkeit gegeben, seine
Macht zu festigen. Gerade den Verweis auf die fortgesetzten bewaffneten
Konflikte dort hat er für den Abbau der Demokratie und die Stärkung der
Polizei, für die Aufhebung der Wahl der Gouverneure, für die unendliche
Ausweitung der Befugnisse des Geheimdienstes genutzt.
Aber was haben wir im Resultat dieser blutigen
inneren Kriege bekommen?
Wir haben Menschen in Uniform bekommen, die viele
Schlüsselpositionen im Staat besetzen. Menschen, die durch die Schule der
vollkommenen Anonymität und Straffreiheit für Verbrechen, Entführungen, Folter,
für die Organisation von Todesschwadronen und geheimen Gefängnissen, die Tötung
von Zivilisten gegangen sind.
Darüber hinaus haben wir das totalitäre Regime von
Ramsan Kadyrov in Tschetschenien bekommen. Ein Regime, unter dem die Menschen
Angst haben, sich zu beschweren, dass ihr Sohn entführt, ihr Unternehmen
weggenommen wurde, dass sie bei der Polizei gezwungen wurden, einen Angehörigen
zu schlagen, der sich herausnahm, einen langen Bart zu tragen.
Aber vielleicht gelang es infolge dieser Kriege,
Russen zu schützen? Vielleicht kehren jetzt Russen dorthin zurück? Wir alle
kennen die Antworten auf diese Fragen — nein. Und sind wirklich keine Russen in
den Kellern von Grosny von russischen Bomben und Geschossen umgekommen?
Vielleicht wurde die verfassungsgemäße Ordnung
wieder hergestellt? Ja, die Verfassung wird jetzt in Tschetschenien strikt
eingehalten. Aber es ist eigenartige Verfassung, die nur aus einem Artikel
besteht - «So hat Ramsan gesagt!»
Meine Kollegen und ich sind sich sicher — der
Krieg im Nordkaukasus wurde mit einem einzigen Ziel ausgelöst — diejenigen zu
unterstützen, die im Kreml sitzen, um die Macht über Russland zu behalten.
Und die derzeitige Sonderoperation in der Ukraine
wird genau mit dem gleichen Ziel durchgeführt. Hinter allen offizielle
proklamierten Losungen steht ein zynisches Ziel — die Macht des derzeitigen
Regimes über Russland für viele, viele Jahre zu verlängern.
Wenn der Kreml die Absicht hat, tatsächlich Russen
im Nachbarland zu schützen, warum agiert er dann so demonstrativ grob,
ungeschickt, provokativ?!
Eben deshalb, weil das Ziel ein anderes ist — eine
Provokation des Konfliktes, unter dessen Bedingungen es leichter ist, die Reste
an Demokratie in Russland zu zerstören. Im Ergebnis des aktuellen Konfliktes
kann ein totalitäres Regime wieder errichtet werden, dann schon nicht mehr in
einem einzelnen Teil unseres Landes, sondern auf dem ganzen Territorium.
Das dürfen wir nicht zulassen.
Kein Krieg!
Übersetzung: Sabine Erdmann-Kutnevič