Mittwoch, 19. März 2014

Oleg Orlov auf der Kundgebung in Moskau am 15. März 2014



Wir sagen heute - «Kein Krieg!»
Aber erinnern wir uns, dass unser Land schon zwanzig Jahre praktisch nicht aus dem Kriegszustand heraus kommt.
Erinnern wir uns, wie und warum der erste Tschetschenien-Krieg und darauf der zweite Tschetschenien-Krieg begannen.
Erinnern wir uns, dass diese Kriege mit Losungen begannen — Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, Entwaffnung der illegalen bewaffneten Einheiten, Verteidigung der russischen Bevölkerung.
Freunde, kommt euch das nicht bekannt vor? Klingen diese Losungen nicht ziemlich ähnlich wie die aktuellen, mit denen das militärische Eingreifen der russischen Truppen in das Bruderland, die Ukraine, gerechtfertigt wird?
Aber in der Tat wurden die Tschetschenien-Kriege für etwas ganz anderes ausgelöst — um der Gruppierung, die im Kreml sitzt, die Möglichkeit zu geben, ihre Macht über Russland zu erhalten. Der Krieg wurde als politische Technologie, als Mittel zur Mobilisierung der Bevölkerung zur Unterstützung der Regierung genutzt. Für eine undemokratische Staatsmacht gibt es kein besseres Mittel als den Krieg, um die Opposition zu unterdrücken, die Medien unter ihre Kontrolle zu stellen, einen bedeutenden Teil der Bevölkerung einer Gehirnwäsche zu unterziehen, pseudopatriotische Wellen zu schlagen. Unter Jelzin ist so etwas nicht vorgekommen, Putin jedoch hat Anfang der 2000er Jahre brillant diese Karte gespielt. Putin ist ein Kriegsmensch, und er stützt sich auf die Menschen, denen ausgerechnet der Krieg geholfen hat, sich an der Macht zu etablieren. Der Krieg im Nordkaukasus hat ihm die Möglichkeit gegeben, seine Macht zu festigen. Gerade den Verweis auf die fortgesetzten bewaffneten Konflikte dort hat er für den Abbau der Demokratie und die Stärkung der Polizei, für die Aufhebung der Wahl der Gouverneure, für die unendliche Ausweitung der Befugnisse des Geheimdienstes genutzt.
Aber was haben wir im Resultat dieser blutigen inneren Kriege bekommen?
Wir haben Menschen in Uniform bekommen, die viele Schlüsselpositionen im Staat besetzen. Menschen, die durch die Schule der vollkommenen Anonymität und Straffreiheit für Verbrechen, Entführungen, Folter, für die Organisation von Todesschwadronen und geheimen Gefängnissen, die Tötung von Zivilisten gegangen sind.
Darüber hinaus haben wir das totalitäre Regime von Ramsan Kadyrov in Tschetschenien bekommen. Ein Regime, unter dem die Menschen Angst haben, sich zu beschweren, dass ihr Sohn entführt, ihr Unternehmen weggenommen wurde, dass sie bei der Polizei gezwungen wurden, einen Angehörigen zu schlagen, der sich herausnahm, einen langen Bart zu tragen.
Aber vielleicht gelang es infolge dieser Kriege, Russen zu schützen? Vielleicht kehren jetzt Russen dorthin zurück? Wir alle kennen die Antworten auf diese Fragen — nein. Und sind wirklich keine Russen in den Kellern von Grosny von russischen Bomben und Geschossen umgekommen?
Vielleicht wurde die verfassungsgemäße Ordnung wieder hergestellt? Ja, die Verfassung wird jetzt in Tschetschenien strikt eingehalten. Aber es ist eigenartige Verfassung, die nur aus einem Artikel besteht - «So hat Ramsan gesagt!»
Meine Kollegen und ich sind sich sicher — der Krieg im Nordkaukasus wurde mit einem einzigen Ziel ausgelöst — diejenigen zu unterstützen, die im Kreml sitzen, um die Macht über Russland zu behalten.
Und die derzeitige Sonderoperation in der Ukraine wird genau mit dem gleichen Ziel durchgeführt. Hinter allen offizielle proklamierten Losungen steht ein zynisches Ziel — die Macht des derzeitigen Regimes über Russland für viele, viele Jahre zu verlängern.
Wenn der Kreml die Absicht hat, tatsächlich Russen im Nachbarland zu schützen, warum agiert er dann so demonstrativ grob, ungeschickt, provokativ?!
Eben deshalb, weil das Ziel ein anderes ist — eine Provokation des Konfliktes, unter dessen Bedingungen es leichter ist, die Reste an Demokratie in Russland zu zerstören. Im Ergebnis des aktuellen Konfliktes kann ein totalitäres Regime wieder errichtet werden, dann schon nicht mehr in einem einzelnen Teil unseres Landes, sondern auf dem ganzen Territorium.
Das dürfen wir nicht zulassen.
Kein Krieg!


Übersetzung: Sabine Erdmann-Kutnevič

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen