Erneuter Schlag gegen russische Zivilgesellschaft
Das Oberste Gericht von Tatarstan hat heute auf
Antrag des russischen Justizministeriums die Auflösung der
Menschenrechtsorganisation AGORA verfügt, die ihren Sitz in Kasan hat.
AGORA ist eine NGO von Juristen und Anwälten, die
unentgeltliche Rechtshilfe leistet und in mehreren Regionen juristische
Aufklärung durchführt.
Sie wurde im Juli 2014 als „ausländischer Agent“ verzeichnet
und hat diese Entscheidung erfolglos angefochten. Danach hat sie
versucht, ihre Austragung aus dem Register zu erreichen. Wie der frühere
Leiter von AGORA, Pawel Tschikow, erklärte, bekommt AGORA seit fast
einem Jahr keinerlei finanzielle Unterstützung mehr (auch nicht aus dem
Ausland).
Das Justizministerium begründete seinen Antrag
damit, dass AGORA versuche, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu
nehmen und sich zugleich um eine Austragung aus dem „Agentenregister“
bemühe, in das sich die Organisation auch nicht freiwillig habe
eintragen lassen. Die Tätigkeit der Organisation "bedroht die nationale
Sicherheit, die Grundlagen der Verfassungsordnung, Leben und Gesundheit
anderer Bürger. Ihre Verstöße sind irreparabel."
Der Anwalt von AGORA, Ramil Achmetgaliew, bestreitet
diese Vorwürfe, nicht zuletzt unter Hinweis auf die zahlreichen
Überprüfungen, denen AGORA in den letzten Jahren unterzogen wurde.
Danach hätten Gerichte zwar wiederholt Gesetzesverstöße auf Seiten der
Überprüfungsinstanzen moniert, allerdings habe es keine Beanstandungen
der Tätigkeit von AGORA gegeben. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, AGORA wird sie beim Obersten Gericht der Russischen Föderation anfechten.
In Menschenrechtskreisen hat die
Gerichtsentscheidung Bestürzung und Proteste ausgelöst. Die
Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa sieht darin die Folge einer zu
breiten Auslegung des Begriffs der „politischen Tätigkeit“: „Auf der
Grundlage einer willkürlichen Auslegung ist eine unbequeme
Menschenrechtsorganisation aufgelöst worden. Die heutige Entscheidung
ist ein deutliches Indiz für einen systemischen Mangel, den wir leider
bisher nicht beseitigen konnten.“ Tatjana Lokshina von Human Rights
Watch sprach von einem „Schlag gegen die Zivilgesellschaft“.
Pawel Tschikow spricht von einem „unmittelbaren
Auftrag des Bundes[justiz]ministeriums. Es gibt ganz offensichtlich eine
kleine Shortlist führender Menschenrechtsorganisationen, die mit allen
Mitteln vernichtet werden sollen. Dazu gehören das Komitee gegen Folter,
Memorial, Golos und AGORA – das ist das Minimum.“
10. Februar 2016