Mittwoch, 11. Juni 2014

Justizministerium registriert fünf NGOs als "ausländische Agenten"

Das russische Justizministerium hat inzwischen fünf Nichtregierungsorganisationen in das Register „ausländischer Agenten“ eingetragen. Nach einer kürzlich beschlossenen Gesetzesänderung, die Präsident Putin vor sechs Tagen unterzeichnet hat, ist das Justizministerium jetzt dazu berechtigt, selbst diese Eintragung vorzunehmen. Bisher mussten die NGOs von sich aus diese Registrierung beantragen.

Drei der fünf als „ausländische Agenten“ registrierten NGOs sind in ihrer früheren Organisationsform längst nicht mehr tätig. Die Assoziation Golos (der Dachverband mehrerer Golos-Verbände) hat sich selbst aufgelöst und arbeitet in anderer Form weiter. Die Tätigkeit eines weiteren Golos-Verbandes (des regionalen Golos-Verbands in Moskau) war vom Gericht bereits ausgesetzt worden, und der Verband ist nicht mehr aktiv. Eine dritte aufgeführte NGO - das Zentrum für gesellschaftliche Initiativen in Kostroma - hat sich ebenfalls bereits aufgelöst.

Die zwei weiteren NGOs sind das Zentrum für Sozialpolitik und Genderforschung in Saratov und die „Don-Frauen“ in Novotscherkassk. Beide hatten kürzlich ihre Gerichtsverfahren verloren und waren dazu verurteilt worden, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen. Die Leiterin der „Don-Frauen“, Valentina Tscherevatschenko, steht noch zusätzlich unter Druck durch ein Strafverfahren, das gegen sie angestrengt werden soll und ganz offenkundig auf einer Verleumdung basiert.

Eine Eintragung in das "Agenten-Verzeichnis" hat für die betroffenen NGOs gravierende Konsequenzen, nicht nur im Hinblick auf verschärfte Vorschriften für finanzielle Rechenschaftsberichte. Sie sind per Gesetz gezwungen, bei jeder öffentlichen Verlautbarung, auf jedem Druckerzeugnis, bei jedem Web-Auftritt  ausdrücklich anzugeben, dass sie "die Funktion eines ausländischen Agenten" ausüben.

Die „Don-Frauen“ werden sich gegen die Registrierung zur Wehr setzen. In einer Erklärung verwahren sich ausdrücklich gegen die Unterstellung, „ausländischer Agent“ zu sein:
„Wir haben zwanzig Jahre die Rechte anderer verteidigt, wir werden also auch uns für uns selbst einstehen können. Wir lassen uns nicht aus der Reihe derer ausstreichen, die mit ganzem Herzen und mit aller Kraft ihrem Land dienen. Wir lassen uns nicht aus Russland ausschließen. Das ist unser Land. DIE VEREINIGUNG DER DON-FRAUEN IST KEIN AUSLÄNDISCHER AGENT."

Mittwoch, 4. Juni 2014

Die "Agenten-Jagd" und ihre zwangsläufigen Folgen

Erklärung russischer Menschenrechtler


Ein Jahr nach der Welle staatsanwaltlicher Überprüfungen, die Hunderte von Nichtregierungsorganisationen betroffen hat, haben die Behörden die Konfrontation mit der Zivilgesellschaft erneut angeheizt.

Nichtregierungsorganisationen, die vom Staatsanwalt eine "Aufforderungen" (sich als "ausländischer Agent" registrieren zu lassen) und eine "Verwarnung" bekommen hatten, klagen gegen diese Ergebnisse der letztjährigen Überprüfungen vor Gericht. Die Gerichte verkünden weiterhin Urteile gegen Menschenrechtsorganisationen, sie fordern sie auf, sich "freiwillig" als Organisationen zu registrieren, "die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen". In acht russischen Regionen finden inzwischen erneut Überprüfungen durch die Staatsanwaltschaft statt. Schließlich haben die Duma und der Föderationsrat neue Korrekturen in der Gesetzgebung vorgenommen, die eine zwangsweise Eintragung ins "Agenten"-Register ohne Gerichtsbeschluss vorsehen.

Die Behörden wollen ganz offensichtlich das Ziel, jedwede unabhängige gesellschaftliche Aktivität als Tätigkeit eines "ausländischen Agenten" brandmarken.

Die Bezeichnung "ausländischer Agent" ist für Menschenrechtsorganisationen sowie ökologische und soziale Vereine beleidigend. Diesen Verbänden geht es darum, Menschen zu helfen und allgemeingültige rechtliche und demokratische Prinzipien zu verteidigen. Damit dienen sie sowohl dem Land als auch den Völkern Russlands. Ein Einsatz zum Schutz der Menschenrechte und der Natur ist nicht möglich ohne Appelle an die Regierung und die öffentliche Meinung und ohne Aufrufe zu zivilen Kampagnen.

Der Makel eines "ausländischen Agenten" in der derzeitigen gesellschaftlichen Atmosphäre der Xenophobie und des Hasses gegenüber dem "Westen" unterminiert die Idee einer Bürgerkontrolle, da sie sämtliche öffentlichen Aktionen von Nichtregierungsorganisationen sinnlos macht, in erster Linie Appelle an politische Funktionäre im Interesse von Menschen und Gesellschaft. Mit einem derartigen Makel verliert die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen ihren Sinn. Es wird zwangsläufig dahin kommen, dass sie verfolgt werden, bis zu ihrer Schließung oder Selbstauflösung. Die Definition einer "politischen Tätigkeit", die das Verfassungsgericht der RF gegeben hat, ist unbestimmt, sie lässt eine willkürliche und erweiterte Auslegung zu. Man kann jede beliebige zivilgesellschaftliche Aktivität, jede sinnvolle Aussage dazu zählen.

Es ist sattsam bekannt, dass unser Gerichtswesen konformistisch und gelenkt ist. Verweise darauf, dass wir unsere Rechte vor Gericht verteidigen könnten, klingen wie blanker Hohn. Diese Befürchtungen werden durch die Praxis der Gerichte bestätigt.

Der derzeitige polizeiliche  Übereifer bringt selbst die Regierung in eine absurde Situation. Dutzende und Hunderte von gesellschaftlichen Organisationen werden mit dem Makel des "Agenten" versehen, Organisationen, die in den russischen Regionen wie weltweit hohes Ansehen genießen. Unter diesen Umständen wird der Dialog von Regierung und Gesellschaft zu einem Gespräch mit "ausländischen Agenten" oder zu einem "Selbstgespräch" auf den Ruinen der Zivilgesellschaft.

Ljudmila Alexejeva
Valerij Borschtschev
Jurij Vdovin
Svetlana Gannuschkina
Sergej Kovalev
Oleg Orlov
Lev Ponomarev
Alexander Tscherkasov