Erklärung russischer Menschenrechtler
Ein Jahr nach der Welle staatsanwaltlicher Überprüfungen, die Hunderte von Nichtregierungsorganisationen betroffen hat, haben die Behörden die Konfrontation mit der Zivilgesellschaft erneut angeheizt.
Nichtregierungsorganisationen, die vom Staatsanwalt
eine "Aufforderungen" (sich als "ausländischer Agent" registrieren zu
lassen) und eine "Verwarnung" bekommen hatten, klagen gegen diese
Ergebnisse der letztjährigen Überprüfungen vor Gericht. Die Gerichte
verkünden weiterhin Urteile gegen Menschenrechtsorganisationen, sie
fordern sie auf, sich "freiwillig" als Organisationen zu registrieren,
"die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen". In acht
russischen Regionen finden inzwischen erneut Überprüfungen durch die
Staatsanwaltschaft statt. Schließlich haben die Duma und der
Föderationsrat neue Korrekturen in der Gesetzgebung vorgenommen, die
eine zwangsweise Eintragung ins "Agenten"-Register ohne
Gerichtsbeschluss vorsehen.
Die Behörden wollen ganz offensichtlich das Ziel,
jedwede unabhängige gesellschaftliche Aktivität als Tätigkeit eines "ausländischen Agenten" brandmarken.
Die Bezeichnung "ausländischer Agent" ist für
Menschenrechtsorganisationen sowie ökologische und soziale Vereine
beleidigend. Diesen Verbänden geht es darum, Menschen zu helfen und
allgemeingültige rechtliche und demokratische Prinzipien zu verteidigen.
Damit dienen sie sowohl dem Land als auch den Völkern Russlands. Ein
Einsatz zum Schutz der Menschenrechte und der Natur ist nicht möglich
ohne Appelle an die Regierung und die öffentliche Meinung und ohne
Aufrufe zu zivilen Kampagnen.
Der Makel eines "ausländischen Agenten" in der
derzeitigen gesellschaftlichen Atmosphäre der Xenophobie und des Hasses
gegenüber dem "Westen" unterminiert die Idee einer Bürgerkontrolle, da
sie sämtliche öffentlichen Aktionen von Nichtregierungsorganisationen
sinnlos macht, in erster Linie Appelle an politische Funktionäre im
Interesse von Menschen und Gesellschaft. Mit einem derartigen Makel
verliert die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen ihren Sinn. Es wird
zwangsläufig dahin kommen, dass sie verfolgt werden, bis zu ihrer
Schließung oder Selbstauflösung. Die Definition einer "politischen
Tätigkeit", die das Verfassungsgericht der RF gegeben hat, ist
unbestimmt, sie lässt eine willkürliche und erweiterte Auslegung zu. Man
kann jede beliebige zivilgesellschaftliche Aktivität, jede sinnvolle Aussage dazu zählen.
Es ist sattsam bekannt, dass unser Gerichtswesen konformistisch und gelenkt ist. Verweise darauf, dass wir unsere
Rechte vor Gericht verteidigen könnten, klingen wie blanker Hohn. Diese
Befürchtungen werden durch die Praxis der Gerichte bestätigt.
Der derzeitige polizeiliche Übereifer bringt selbst
die Regierung in eine absurde Situation. Dutzende und Hunderte von
gesellschaftlichen Organisationen werden mit dem Makel des "Agenten"
versehen, Organisationen, die in den russischen Regionen wie weltweit
hohes Ansehen genießen. Unter diesen Umständen wird der Dialog von
Regierung und Gesellschaft zu einem Gespräch mit "ausländischen Agenten"
oder zu einem "Selbstgespräch" auf den Ruinen der Zivilgesellschaft.
Ljudmila Alexejeva
Valerij Borschtschev
Jurij Vdovin
Svetlana Gannuschkina
Sergej Kovalev
Oleg Orlov
Lev Ponomarev
Alexander Tscherkasov
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