Samstag, 23. Januar 2016

Regierungskonzeption zur Aufarbeitung des politischen Staatsterrors in der Sowjetunion

Stellungnahme von Arsenij Roginskij


Am 15. August hat die russische Regierung eine elfseitige staatliche „Konzeption zur Bewahrung des Gedenkens an die Opfer politischer Verfolgungen“ beschlossen. Darin heißt es ausdrücklich, dass Russland „kein Rechtsstaat im vollen Sinne werden und keine führende Rolle in der Weltgemeinschaft einnehmen kann, wenn es nicht das Gedenken an die vielen Millionen seiner Bürger bewahrt, die politischen Verfolgungen zum Opfer gefallen sind.“

Sie enthält u. a. einen Maßnahmeplan für die Zeit bis 2020. Vor allem geht es um Forschungs- und Aufklärungsprogramme, Aufstellung von Gedenkzeichen, Einrichtung von Gedenkstätten sowie den Zugang zu Archiven (entsprechend der gesetzlichen Vorschriften).

Die Reaktionen darauf sind geteilt. Kritisiert wurde vor allem, dass die Konzeption weitgehend unkonkret und unverbindlich bleibe und beispielsweise keinerlei soziale Unterstützung für ehemalige politische Häftlinge vorsehe.

Hier folgt die Stellungnahme von Arsenij Roginskij, dem Vorsitzenden von MEMORIAL International:

„Soweit ich sehe, wird hier erstmals seit dem Rehabilitierungsgesetz von 1991 in einem offiziellen Regierungsdokument festgehalten, welche Stellung der Staat zum sowjetischen politischen Terror einnimmt - nämlich eine eindeutig negative, wenn man dem Text glauben will.

Diese Konzeption steht nicht im Einklang mit der Haupttendenz der gegenwärtigen Politik. Das ist nicht nur erstaunlich, sondern ausgesprochen gut. Und zwar deshalb, weil es unsere Vorstellungen von der Gegenwart ziemlich durcheinanderbringt.

Das Dokument beschränkt sich nicht nur auf die Periode Stalins, sondern bezieht sich auf die gesamte sowjetische Zeit. Man kann (und muss) es kritisieren, weil es unvollständig ist und nicht energisch genug (ich teile diese Kritik). Aber man kann doch hoffen, dass der Rückkehr sowjetischer Symbole und Stereotype dadurch zumindest in geringem Maß ein Riegel vorgeschoben wird. Vielleicht ist es so für unsere heutigen Kommunisten und Nationalpatrioten nicht mehr ganz so einfach, Denkmäler für Politiker wie Dzierzynski aufzustellen, Plätze nach Stalin zu benennen u. dgl.

Dieses Dokument ist keine Anordnung, die sich an irgendeine bestimmte Person richtet. Es kann sein, dass lokale Funktionäre in Gouvernements es gar nicht lesen oder sofort wieder vergessen, vielleicht werden sie auch überhaupt nicht davon erfahren. Aber ich bin sicher, dass Menschen, denen es aufrichtig um das Gedenken an den Terror zu tun ist, ausgiebig davon Gebrauch machen werden. Sie werden sich darauf berufen, um von den Behörden Unterstützung bei ihrer Arbeit einzufordern – bei der Suche nach Grabstätten Erschossener, der Edition von Gedenkbüchern und der Aufstellung von Gedenkzeichen für die Opfer…

Ungeachtet ihrer Unzulänglichkeiten ist es daher gut, dass es diese Konzeption gibt – sie gibt der Gesellschaft ein Instrument in die Hand. Zu einer Verschlechterung wird es dadurch nicht kommen, und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass sie einen gewissen Nutzen bringt.

Es kommt allerdings darauf an, dass nicht nur Funktionäre davon erfahren, sondern auch Lehrer und Bibliothekare. Sonst werden viele von ihnen gar nicht mehr wissen, was sie nun über den Terror sagen dürfen und was nicht.“

29. August 2015

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