Das Menschenrechtszentrum MEMORIAL fordert unverzügliche Freilassung
Die Verurteilung von Ildar Dadin zu drei Jahren Haft hat etliche Proteste ausgelöst. Es kam zu Kundgebungen, vor allem Einzelmahnwachen, in mehreren Städten, darunter St. Petersburg und Jekaterinburg.
Das Menschenrechtszentrum MEMORIAL forderte in der
nachstehenden Erklärung Dadins unverzügliche Freilassung sowie die
Abschaffung des Artikels 212.1, nach dem er verurteilt wurde:
"Am 7. Dezember hat Natalija Dudar, Richterin des
Basmannyj-Gerichts Moskau, das erste Urteil nach Art. 212.1 StGB RF
gefällt (wiederholter Verstoß gegen die Vorschriften zur Organisation
oder Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen,
Märschen oder Mahnwachen). Sie hat Ildar Dadin schuldig gesprochen und
ihn zu drei Jahren Freiheitsentzug in einer Kolonie gewöhnlichen Regimes
verurteilt.
Dieses Urteil ist eine besonders zynische Attacke
gegen Bürgerrechte und Freiheiten, eine Beleidigung gegen die Idee der
Rechtssprechung, selbst wenn man es mit anderen politisch motivierten
und in unseren Augen ungesetzlichen Urteilen vergleicht. Zwei der vier
Vorfälle, die Dadin zur Last gelegt werden, waren Einzelmahnwachen, die
nicht einmal gegen die „drakonische“ Gesetzgebung der Russischen
Föderation über öffentliche Veranstaltungen verstoßen. Ein weiterer
Vorfall hatte überhaupt nichts mit einer solchen Aktion zu tun.
Das Menschenrechtszentrum MEMORIAL hat den Artikel
212.1 StGB der RF bereits kritisiert. Er soll ganz offensichtlich dem
Zweck politischer Verfolgungen dienen. Er ist verfassungswidrig und
unrechtmäßig, da er
- die wiederholte Bestrafung für ein und denselben Rechtsverstoß vorsieht;
- das Vorliegen eines Straftatbestandes davon
abhängig macht, dass die Person ordnungsrechtlich zur Verantwortung
gezogen wurde und sie damit der Garantien beraubt, die in der
Strafprozessordnung festgeschrieben sind;
- das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz
verletzt, indem er eine wiederholte Ordnungswidrigkeit, die die
Persönlichkeit des Delinquenten charakterisiert, zum einzigen
qualifizierenden Merkmal für die Begehung einer Straftat macht;
- eine Verantwortung festschreibt, die
offensichtlich nicht dem anzunehmenden Gefährlichkeitsgrad für die
Gesellschaft entspricht;
- entgegen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der
Russischen Föderation und der Haltung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte ohne hinreichenden Grund die Freiheit friedlicher
Versammlungen einschränkt.
Beim Prozess war es bezeichnenderweise gerade Ildar
Dadin selbst, und nicht die Anklagevertretung und das Gericht, der eine
Position vertrat, die auf der Verfassung der Russischen Föderation
basiert, indem er an die Rechte und Freiheiten der Bürger appellierte.
Wer nach Art. 212.1 StGB zur Verantwortung gezogen
wird, ist für das Menschenrechtszentrum MEMORIAL jemand, der
ungesetzlich und aus politischen Gründen verfolgt wird. Jeder, der auf
dieser Grundlage der Freiheit beraubt wird, ist ein politischer
Gefangener.
Wir fordern die unverzügliche Einstellung des
Verfahrens gegen Ildar Dadin, seine bedingungslose Freilassung und die
Streichung des Artikels 212.1 aus dem russischen Strafgesetzbuch."
9. Dezember 2015
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen