Bereits Ende Januar hatten russische Bürger einen weltweiten Appell für die Freilassung von Nadija Sawtschenko initiiert. Hier folgt ein weiterer Aufruf, diesmal an Präsident Putin gerichtet.
Herr Präsident!
Wir wenden uns an Sie als an den Garanten für die
Einhaltung der Gesetze innerhalb unseres Landes. Dabei spielt es keine
Rolle, ob bei der Einhaltung der Gesetze bezüglich menschlicher
Behandlung und eines fairen Gerichtsverfahrens um einen Bürger Russlands
oder den Bürger eines anderen Landes geht.
Wir weisen Sie darauf hin, dass sich die Bürgerin
der Ukraine Nadeschda Sawtschenko seit dem 16. Dezember als Zeichen des
Protestes gegen ihre Entführung vom Territorium der Ukraine und ihre
Haft in Russland in einem unbefristeten Hungerstreik befindet. Ihre
Gesundheit und ihr Leben sind in Gefahr. In wenigen Tagen wird sie
sterben.
Nadeschda Sawtschenko ist seit Anfang Juni 2014 in
unterschiedlichen Untersuchungsgefängnissen Russlands in Haft. Ende
Oktober hat das Gericht des Basman-Bezirks ihre Untersuchungshaft bis
zum 13. Februar 2015 verlängert.
Währenddessen ist die Schlüssigkeit der Anklage
gegen Sawtschenko bis heute in keiner Weise belegt. Ihre Verteidigung
verfügt über Beweise, dass sie an dem Tod russischer Journalisten durch
Granatwerferbeschuss in der Nähe von Lugansk in keiner Weise beteiligt
sein konnte. Sawtschenko hat ein stichhaltiges Alibi: Lange bevor der
Beschuss begann, war sie von Separatisten gefangengenommen worden. Diese
Beweise sind von der gerichtlichen Voruntersuchung nicht widerlegt
worden. Mehr noch, die Untersuchungsrichter haben die von der
Verteidigung vorgelegten Unterlagen bis heute nicht geprüft.
Am 25. Januar wurde dieser eine zweite, vollkommen
absurde Anklage hinzugefügt: Sawtschenko wird nun außerdem des
„illegalen Grenzübertritts“ beschuldigt, obwohl sie mit Gewalt und unter
Bewachung über die Grenze verbracht worden war.
Die vorliegende Situation erfordert Ihr Eingreifen
zur Wahrung der von der Verfassung garantierten Grundrechte in diesem
konkreten Fall. Nadeschda Sawtschenko muss aus der Haft befreit und ihr
Leben auf diese Weise gerettet werden.
Die russische Gesetzgebung sieht selbst bei
Personen, gegen die Anklage wegen schwerer Verbrechen erhoben wird,
alternative Möglichkeiten der verfahrenssichernden Ermittlungsmaßnahmen
vor – die Verpflichtung, das Land nicht zu verlassen, Hausarrest. Es
gäbe keinerlei technische Schwierigkeiten, Sawtschenko unter Hausarrest
zu stellen.
Den Verlautbarungen der russischen Regierung zufolge
ist diese nach wie vor der Ansicht, unser Land sei ein demokratischer
und humaner Staat, wo keine außergerichtliche Bestrafung aus Motiven
politischen Hasses oder persönlicher Rache vollzogen wird. Sawtschenkos
Befreiung aus der Haft wäre ein gutes Argument dafür, dass Russland ein
zivilisierter Staat geblieben ist.
In Russland gibt es seit altersher eine große
Tradition der Barmherzigkeit. In unserem Land war ein deutscher Arzt
tätig, Friedrich-Joseph Haass, der „heilige Doktor von Moskau“, der alle
seine Kräfte für die Verbesserung der Lage von Häftlingen einsetzte.
Heute bitten wir im Gedenken an ihn darum, Nadeschda Sawtschenko die
Barmherzigkeit zu erweisen, von der ihr Leben abhängt.
Erstunterzeichner:
Soja Swetowa
Ljudmila Ulitzkaja
Ljubow Summ
Swetlana Alexijewitsch
Irina Schtscherbakowa
Irina Prochorowa
Lew Rubinstein
Alexander Archangelski
Grigori Michnow-Woitenko
Alla Bossart
10. Februar 2015
Bisher (11.2.) über 8000 Unterschriften
Übersetzung: Christiane Körner
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