Nachruf von Svetlana Gannuschkina
Heute früh
erfuhren wir, dass der italienische Journalist Andrea Rocchelli und sein
Übersetzer Andrej Mironov in Andrejevka in der Nähe von Slovjansk getötet
wurden. Was gestern Abend noch eine Vermutung war, ist heute schmerzliche
Gewissheit.
Andrej
Mironov, unser Kollege und Freund, beherrschte mehrere europäische Sprachen,
darunter auch Italienisch. Als Übersetzer begleitete er häufig Journalisten,
Politiker und Mitglieder internationaler Menschenrechtsorganisationen.
Sein
Sprachtalent war einzigartig, und er liebte das Italienische sehr. Als ich zu
einem Vortrag nach Turin eingeladen wurde, gab er mir zwei Wochen vor der Reise
den Ratschlag: „Sveta, versuchen Sie, Italienisch zu sprechen, das ist eine
sehr schöne und einfache Sprache, das werden Sie können“.
Aber der
Menschenrechtler und ehemalige politische Gefangene Andrej Mironov war nie und
nirgends nur als Übersetzer tätig. 1985 wurde er verhaftet, weil er
Samizdat-Schriften verbreitet hatte, und 1986 vom Obersten Gericht Udmurtiens
wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ (Art. 70 des StGB der RSFSR)
zu vier Jahren Lagerhaft und drei Jahren Verbannung verurteilt. Im Februar 1987
kam er zu Beginn der von Gorbatschow eingeleiteten Perestrojka zusammen mit
anderen politischen Gefangenen frei.
Für Andrej
Mironov war es ganz selbstverständlich, dass er bereits 1988 bei der
Gründung zu MEMORIAL stieß und sich später an der Einrichtung des
Menschenrechtszentrums MEMORIAL beteiligte. Andrej war nicht in dem Sinne
Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums, dass er konkret an einem Programm
mitgewirkt hätte. Er war als Menschenrechtsverteidiger eher ein Einzelkämpfer,
der in jeder seiner Lebensperioden ein eigenes Programm verfolgte.
Andrej hat
viele Konfliktherde aufgesucht, allein oder zusammen mit Kollegen. Seit 1994
hielt er sich etliche Male längere Zeit während der Kriegsereignisse in
Tschetschenien auf. Im Privatleben war er in sich gekehrt und verletzlich. Er
setzte sich indes mit aller Kraft für den Schutz von Personen ein, die dessen
bedurften. Er fand Mittel und Wege, um Familien von Opfern zu unterstützen, er
brachte sie zu diesem Zweck auch zu uns. Dank seiner Sprach- und
Landeskenntnisse fand er auch in internationalen Organisationen Gehör.
2008 wurde
Andrej Mironov gemeinsam mit Alexej Makarov der Pierre-Simon-Preis für Ethik
und Gesellschaft verliehen.
Mit diesem Preis werden unter der Schirmherrschaft des französischen
Gesundheitsministeriums jährlich Personen oder Arbeiten ausgezeichnet, die sich
gesellschaftlichen und ethischen Fragen widmen.
In diesem
Jahr vollendete Andrej sein 60. Lebensjahr.
Mit ihm
wurde ein Mensch mit einer kristallklaren Seele getötet, von absoluter
Uneigennützigkeit, mit einem rückhaltlosen Gerechtigkeitsempfinden, von
erstaunlicher Güte und erfüllt vom Glauben an das Gute.
Der Schmerz
verbindet sich mit Gefühlen des Zorns und der Schuld. Wie konnten wir diesen
brudermörderischen Krieg zulassen?
25. Mai 2014
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