Am 20. November tritt das föderale Gesetz "Über Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen der RussischeFöderation zur Regelung der Tätigkeit der als ausländische Agenten arbeitenden Nichtregierungsorganisationen" in Kraft, welches im Volksmund als "Gesetz über ausländische Agenten" bezeichnet wird.
Dieses
Gesetz ist seinem Wesen nach nicht rechtens und unmoralisch. Nicht rechtens ist
es, weil es die Exekutive mit Befugnissen eines Gerichts ausstattet. Und
unmoralisch, weil es a priori voraussetzt, dass zivilgesellschaftliche
Organisationen, die Gelder aus dem Ausland erhalten, nach Anweisung der
Sponsoren handeln; so wird der billige Spruch von der Musik, die „bestimmt, wer
bezahlt“ zur höchsten staatlichen Weisheit.
Gemäß
diesem Gesetz kann MEMORIAL International sowie jede andere
zivilgesellschaftliche Organisation, die Spenden aus dem Ausland erhält, gezwungen
werden, sich in die Liste der in Russland tätigen "ausländischen Agenten"
einzutragen und dies in ihren Publikationen und Internetauftritten zu vermerken. Anders gesagt, wir sollen
uns selbst als eine für irgendwelche obskuren ausländischen Einrichtungen
tätige Organisation erklären.
Eine
solche Behauptung ist reine Lüge. Aber es geht nicht
nur darum. MEMORIAL, eine Organisation, die sich mit dem historischen
Gedächtnis befasst, darf nicht vergessen - und muss auch die Gesellschaft daran
erinnern-, dass die Kampagnen um "ausländische Agenten", die
angeblich in unserem Land tätig sein sollen, in unserer jüngsten Geschichte
immer wieder als propagandistische Rückendeckung für staatlichen Terror und die
Verfolgung von Andersdenkenden gedient haben. Denken wir nur an die Jahre 1937
- 1938 zurück, als von Hunderttausenden verlangt wurde, sich als
"ausländische Agenten" zu erklären. Und später noch wurden
Regimekritiker wiederholt als "Söldner des Westens" abgestempelt. Ganz
zu schweigen davon, dass die Manipulation des nationalen Bewusstseins mit Hilfe
der Märchen der Tscheka von den „ausländischen Agenten“ ein erprobtes Mittel
ist, um realen gesellschaftlichen Problemen aus dem Weg zu gehen.
MEMORIAL
wird sich an Aktionen zur Zerstörung der russischen Gesellschaft nicht
beteiligen und keine offensichtlichen Lügen über sich verbreiten. Sollte
MEMORIAL gezwungen werden, sich in die Liste der "ausländischen Agenten"
einzutragen, werden wir uns dem widersetzen, in erster Linie auf dem Rechtsweg.
Als Menschenrechtsorganisation werden wir alles tun, um Recht durch das Recht
zu schützen.
Wir
behaupten nicht, dass dies der einzig mögliche Weg ist. Jede Organisation wird für
sich entscheiden, wie sie gegen dieses absurde Gesetzt auftritt. Die Kraft der Zivilgesellschaft
kommt nicht nur in ihrem einheitlichen Handeln, sondern auch in der Vielfalt dieses
Handelns zum Ausdruck.
Verbindlich
bleibt in jedem Fall die gegenseitige Solidarität und Unterstützung der
Organisationen, die nach dem 20. November unter Druck geraten sollten.
Wir
sind überzeugt, dass die Ruhe und Ausdauer der russischen Zivilgesellschaft
letztlich stärker als die krankhaften Phantasien unserer Gesetzgeber sein
werden.
MEMORIAL International
Der Vorstand
21. September 2012
Übersetzt von Galina Burdukova
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