Dienstag, 17. September 2013

Chodorkovskij an die Angeklagten im Bolotnaja-Prozess

In einem offenen Brief vom 11.09.2013 unterstützt Chodorkovskij die Angeklagten im so genannten Bolotnaja-Prozess:

Liebe Freunde,

ich denke, dass ich besser als viele andere verstehe, was ihr gerade empfindet, nachdem ich unserem skrupellosen und unbarmherzigen „Rechts- und Vollzugssystem“ gegenüberstand.

Jeder von uns hat Detektivgeschichten gelesen und hat Fernsehserien angeschaut, in denen sich das Recht sogar gegen die größten Gesetzesbrecher durchsetzt.

Ich erinnere mich an das, was mich am meisten entsetzte: dass von Anfang an die Person, die vorgab ein Richter zu sein, mich als eine niedrigere Lebensform erachtete, etwa wie ein Leibeigener oder römischer Sklave, wobei der „Herr“ in Uniform überhaupt nichts beweisen musste: seine Worte wurden für bare Münze genommen, während meinen nur mit Verachtung zugehört wurde und ohne jede Absicht, sie zu berücksichtigen.

Ich rede noch nicht einmal über solche komplexe Grundsätze wie die Unschuldsvermutung oder Sachen im Zweifel für den Angeklagten auszulegen usw. „Sie“ könnten sich kaum weniger um das Recht scheren.

Jedoch ist man am Anfang verletzt über die Weigerung, dich als menschliches Wesen anzusehen, als einen Gleichen, der die Wahrheit erzählt, einfach weil es das Richtige ist.

Ihr müsst das durchstehen, aufhören euch davon aus der Fassung bringen zu lassen und dabei verstehen, dass wir es hier nicht mit Gerechtigkeit zu tun haben, sondern mit einer repressiven Maschine, der wir als Rohstoff zugefüttert werden. Der Bediener der Maschine taucht nicht im Saal auf, aber wir alle wissen, wer er ist.

Wir können und müssen den Menschen, dem Land zeigen, dass die Maschine keine Würde hat, aber wir schon. Dann wird eher früher als später (aber wahrscheinlich schon ziemlich bald) die Maschine auseinandergenommen werden – falls sie denn aus irgendetwas anderem Nützlichen als Gebäuden besteht.

Und ihr werdet siegen und eure Eltern und Freunde und später eure Kinder und Enkel werden stolz auf euch sein.

Mit sehr herzlichen Grüßen,
Michail Chodorkowskij

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