Mittwoch, 26. August 2015

Urteile gegen Sentsov und Koltschenko verkündet

Belastungszeuge fordert Wiederaufnahme seines Verfahrens

Ein Gericht in Rostow hat am 25. August das Urteil gegen Oleg Sentsov und Alexander Koltschenko verkündet. Oleg Sentsov wurde zu 20 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt, Alexander Koltschenko zu zehn Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte im Falle Sentsov 23 Jahre und für Koltschenko zwölf Jahre beantragt.

Sentsov und Koltschenko waren im Mai 2014 auf der Krim verhaftet und nach Moskau verschleppt worden. Der Prozess fand indessen in Rostow statt.

Einer der beiden Belastungszeugen, Gennadij Afanasjew, hat seine Aussage während des Prozesses zurückgezogen und erklärt, sie sei unter Folter zustande gekommen. Afanasjew war bereits zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden, ebenso wie der andere Belastungszeuge, Alexej Tschirnij.

Afanasjew hat inzwischen eine Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragt. Er bestreitet nicht, an gesetzwidrigen Aktionen teilgenommen zu haben, besteht allerdings darauf, dass von „Terrorismus“ keine Rede sein könne. Afanasjews Anwalt Alexander Popkow beklagt, dass ihm der Einblick in die Akten des Verfahrens verweigert werde.

Oleg Sentsov bestreitet jegliche Beteiligung an illegalen Handlungen. Während seiner Untersuchungshaft und insbesondere in den letzten Tagen hat es zahlreiche Solidaritätsbekundungen für Sentsov gegeben, sowohl von Seiten russischer Berufskollegen als auch aus dem Ausland.

Das Menschenrechtszentrum MEMORIAL hat Sentsov, Koltschenko und Afanasjew als politische Gefangene anerkannt. Informationen in russischer Sprache zu Afanasjew finden Sie hier und zu Sentsov und Koltschenko hier, die Schlussworte Sentsovs (in englischer Übersetzung) hier und Koltschenkos (russisch) hier.

Perm-36 gewinnt Gerichtsverfahren

Die Nichtregierungsorganisation ANO Perm-36 hat in einem Verfahren einen Erfolg erzielt. Die neue staatliche Gedenkstätte hatte von ihr wegen angeblich nicht fristgerechter Rückgabe von Eigentum einen Schadensersatz in Höhe von umgerechnet etwa 22.000 Euro gefordert und war hierin vom Kultusministerium der Region Perm unterstützt worden. Am 25. August gab ein Schiedsgericht der Region Perm der ANO Perm-36 Recht und wies die Forderung zurück.

Die Vertreter von Perm-36 konnten nachweisen, dass die Vorwürfe der neuen staatlichen Gedenkstätte sowie des Kultusministeriums unberechtigt waren. Die Kläger hätten vielmehr beharrlich die Existenz der Arbeitsgruppe ignoriert, die der Gouverneur der Region Perm Basargin ins Leben gerufen hatte, sowie die hier relevanten Vereinbarungen, die diese Gruppe getroffen hatte.

Die ehemalige Leiterin der Gedenkstätte Tatjana Kursina (die im letzten Jahr entgegen allen Absprachen entlassen worden war) beklagte vor Gericht, dass das Wirken der staatlichen Gedenkstätte im Verein mit dem regionalen Kultusministerium bereits seine Früchte zeige. Wie mit wertvollen Exponaten umgegangen werde, habe sich nicht zuletzt darin gezeigt, als ein ehemaliges Lagertor, das sich auf dem Gelände der Gedenkstätte befand, zersägt wurde.

Viktor Schmyrow, einer der Gründer des Museums und ehemaliger Direktor der ANO Perm-36, erklärt sich die Gerichtsverfahren, mit denen Perm-36 überzogen wird, mit dem unverhohlenen Wunsch der Behörden, die Organisation zu zerschlagen: „Für mich wie für alle Personen mit gesundem Menschenverstand steht außer Zweifel, dass das Kultusministerium der Regino Perm alle möglichen Methoden und Verfahren nutzt, um die Arbeit unserer Organisation zu lähmen und sie de facto zu vernichten.“

Samstag, 1. August 2015

Prozess gegen Oleg Sentsov und Alexander Koltschenko

Belastungszeuge widerruft Aussage

Vor einigen Tagen hat in Rostow am Don der Prozess gegen den Regisseur Oleg Sentsov und Alexander Koltschenko begonnen. Beide waren im Mai 2014 auf der Krim und unter dem Vorwurf eines angeblich geplanten Terroraktes verhaftet und nach Moskau deportiert worden, wo sie bis vor kurzem in Untersuchungshaft saßen. Zum Prozess wurden sie nach Rostow gebracht. Beide haben von Anbeginn alle Beschuldigungen bestritten.

Alexej Tschirnyj und Gennadij Afanasjev sind in diesem Zusammenhang bereits vor einigen Monaten zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Beide hatten mit den Untersuchungsorganen kooperiert und ihre (angebliche) Beteiligung an dem geplanten Anschlag gestanden. In Rostow sollen sie als Belastungszeugen auftreten.

Heute hat indes Gennadij Afanasjev seine belastenden Aussagen gegen Sentsov und Koltschenko zurückgenommen. Er erklärte, seine Aussagen seien unter Druck zustande gekommen. Sentsov habe er auf einer Kundgebung flüchtig kennengelernt, danach aber keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt.

Oleg Sentsov hatte seinerseits ebenfalls von Misshandlungen in der Untersuchungshaft berichtet

Amnesty International fordert in einer Stellungnahme, die Terrorismus-Anklage gegen Sentsov und Koltschenko fallenzulassen und alle Foltervorwürfe gründlich zu untersuchen.

Weitere Informationen zum Prozess auf Englisch finden Sie hier, Meldungen im Überblick auf Deutsch hier, einen Aktionsaufruf von Amnesty International (englisch) hier.

31. Juli 2015

"National Endowment for Democracy" in Russland unerwünscht

Am 30. Juli hat das russische Justizministerium die erste ausländische Stiftung – National Endowment for Democracy (NED) – für „unerwünscht“ erklärt. Es folgt damit der entsprechenden Aufforderung der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Juli.

Das NED habe 2013 und 2014 kommerziellen und nichtkommerziellen Organisationen in Russland finanzielle Untersütztung von etwa 5.2 Mio. Dollar gewährt. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat es versucht, Einfluss auf politische Entscheidungen in Russland zu nehmen, die Wahlergebnisse (2011/12) anzuzweifeln und den Dienst in den Streitkräften zu diskreditieren. Daher stelle das NED eine Bedrohung für die Verfassungsordnung der Russischen Föderation dar.

Nach einem kürzlich verabschiedeten Gesetz müssen ausländische Organisationen, die als „unerwünscht“ eingestuft werden, ihre Tätigkeit in Russland beenden. NGOs, die weiter mit ihnen zusammenarbeiten, machen sich strafbar.

Vertreter von NGOs, deren Projekte vom NED gefördert worden waren, betonen, dass damit keinerlei Beeinflussung verbunden war, schon gar nicht im Sinne einer „Destabilisierung“ der russischen Staatsordnung. Die Vorsitzende der Flüchtlingshilfeorganisation „Grazhdanskoe sodejstvie“, Svetlana Gannuschkina, berichtet, eines ihrer Projekte sei zu verschiedenen Zeitpunkten sowohl von NED als auch vom Fonds des russischen Präsidenten unterstützt worden. In der letzten Zeit hatte das NED ein Programm der Organisation finanziert, das Migranten das Erlernen der russischen Sprache ermöglicht.

Für Svetlana Gannuschkina ist es „vollkommen klar, dass keine Rede davon sein kann, dass das NED irgendeine schädliche Tätigkeit bei uns ausgeübt hat, da wir für genau dasselbe Projekt auch Geld aus dem Präsidentenfonds bekommen haben. … Ich habe das Gefühl, dass die Zivilgesellschaft vernichtet wird, aber mit der Zivilgesellschaft wird auch der Staat zerstört. Diese Politik ist unvernünftig und undankbar gegenüber jenen Menschen, die uns geholfen haben und weiter bereit sind, uns zu helfen.“

31. Juli 2015

Justizministerium fordert strenge Einhaltung des "Agentengesetzes"

NGOs sollen auf jeder Publikation angeben, dass die "die Funktion eines ausländischen Agenten ausüben"

Nachdem in Russland immer mehr NGOs als angebliche ausländische Agenten registriert wurden und inzwischen auch mehrere eine Geldstrafe dafür zahlen sollen, dass sie nicht selbst diese Registrierung beantragt haben, gehen die Behörden jetzt noch einen Schritt weiter. Zwölf NGOs wurden in einer Verwarnung dazu aufgefordert, auf ihren Publikationen anzugeben, dass die „die Funktion eines ausländischen Agenten ausüben“.

Das ist tatsächlich eine der Vorschriften des „Agentengesetzes“. Allerdings hat keine der betroffenen NGOs sie bisher umgesetzt. Einzig die – nicht als „ausländischer Agent“ registrierte –  "Gesellschaft für Verbraucherschutz" hat diesen Vermerk aus Solidarität bereits im Jahre 2012 auf ihre Seite gesetzt (die in Russland derzeit nicht oder nur auf Umwegen zugänglich ist).

Einen entsprechenden Bescheid haben u. a. Transparency International Russland, das Komitee gegen Folter (das bekanntlich seine Auflösung eingeleitet hat), das Menschenrechtszentrum Memorial, der Memorial-Verband in Jekaterinburg, der Flüchtlingshilfeverein „Grazhdanskoe sodejstvie“ (Bürgerunterstützung), das Sacharow-Zentrum, der Petersburger Verein „Bürgerkontrolle“, die Menschenrechtsorganisation „Für Menschenrechte“, die Murmansker Organisation „Maximum“ (gegen Diskriminierung und Homophobie) und noch einige weitere erhalten.

Hier drohen gegebenenfalls weitere erhebliche Geldstrafen (von 100.000 bis 300.000 Rubeln für Personen, für juristische Personen von 300.000 bis zu 1,5 Mio. Rubeln). Igor Kaljapin, dem Leiter des "Komitees gegen Folter", wurde bereits mitgeteilt, dass er und seine Organisation mit derartigen Geldstrafen zu rechnen hätten.

28. Juli 2015