Samstag, 25. Juli 2015

Verfahren gegen "Perm-36"

Drangsalierung einer in Auflösung befindlichen NGO


Die autonome Nichtregierungsorganisation (ANO) Perm-36 ist zu einer Strafzahlung von 300.000 Rubeln verurteilt worden, weil sie nicht selbst die Registrierung als „ausländischer Agent“ beantragt hatte. Darüber hinaus soll die ehemalige Direktorin des Museums Tatjana Kursina 100.000 Rubel bezahlen.

Vor einigen Wochen hatte das Justizministerium die Organisation Perm-36 in das „Agenten“-Verzeichnis aufgenommen, ungeachtet der Tatsache, dass Perm-36 zu diesem Zeitpunkt bereits seine Auflösung in die Wege geleitet hatte.

Zu derartigen Strafzahlungen sind schon etliche NGOs verurteilt worden, darunter auch die Memorial-Verbände in Jekaterinburg und Komi – die Urteile werden allerdings von allen Betroffenen angefochten.

Bei der ANO Perm-36 hat es damit jedoch nicht sein Bewenden. Die Behörden haben die ANO Perm-36 mit einer Serie von Klagen und Beanstandungen überzogen. Wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten und Gesetzesverstöße von Perm-36 werden erhebliche Straf- und Kompensationszahlungen verlangt, in einer Höhe, die die Organisation natürlich nicht bezahlen kann. Unter anderem sei das Gelände der Gedenkstätte angeblich nicht „fristgerecht“ zur Nutzung überlassen worden, wodurch ein Schaden an der Gedenkstätte entstanden sei. Gefordert werden deswegen fast 1,5 Millionen Rubel (etwa 25.000 Euro). Dieses Verfahren ist noch anhängig.

Die Verzögerung bei der Übergabe war nach Auskunft von Tatjana Kursina durch zwei Umstände bedingt - die schwere Erkrankung des Leiters der ANO Perm-36 sowie die damals laufenden Verhandlungen über die künftige Zusammenarbeit der neuen staatlichen Gedenkstätte mit der ANO Perm-36, die der Gouverneur von Perm Viktor Basargin initiiert hatte. Seit dem Frühsommer 2014  haben die Mitarbeiter der ANO Perm-36 nicht einmal mehr Zugang zu ihrem eigenen Archiv.

25. Juli 2015

"Nach dem Pilorama"

In Perm fand ein Festival in der Tradition des „Pilorama-Forums“ statt


Vom 08. bis 12. Juli fand in Perm das Festival „Posle Piloramy“ („Nach dem Pilorama-Forum“) als Hommage an das frühere Pilorama-Forum und seine Urheber statt. Organisiert wurde das durch Crowdfunding finanzierte Festival von MEMORIAL Perm, dem Museum der Sowjetischen Naiven, der Permer Gesellschaftskammer, engagierten Permer Journalisten und zivilgesellschaftlichen Aktivisten. Von Seiten der örtlichen Behörden wurde jegliche Unterstützung verweigert, im Gegenteil - auf „dringende Empfehlung“ des Leiters der Gouverneursverwaltung wurde in der lokalen Presse und Internetportalen fast gar nicht über das Festival berichtet.

Im Rahmen des Programms fanden zahlreiche Veranstaltungen zum Gedenken an die Permer Opfer politischer Verfolgung statt, wie eine öffentliche Verlesung ihrer Namen, aber auch der Zukunft gewidmete Diskussionen („Perm nach 2017“) sowie Lieder- und Gedichtabende.  Am letzten Tag fuhren Organisatoren und Teilnehmer des Festivals gemeinsam zum Museum Perm-36 nach Kutschino.

Auf der Website des ehemaligen Trägers des Museums, der Autonomen Nichtregierungsorganisation (ANO) Perm-36 wird der Besuch ausführlich kommentiert (s.u.). Den früheren Betreibern, die die Gedenkstätte im Verlauf von zwanzig Jahren in enger Zusammenarbeit mit Memorial aufgebaut hatten, wird seit dem skandalösen Vorgang der Verstaatlichung des Museums trotz des Kooperationsversprechens seitens der Regionalregierung im vorigen Jahr der Zugang zum Verwaltungstrakt und damit zu ihrem Archiv und ihren Fonds verweigert. Mit Hilfe mehrerer Schiedsgerichtsverfahren versuchen die Regionalregierung und die neue Museumsleitung derzeit, sie zu Zahlungen in Höhe von mehr als drei Millionen Rubeln zu verpflichten.

Hier folgt der Bericht der ANO Perm-36:

In Perm ging das neue Pilorama-Forum zu Ende

Das nächste „Pilorama“-Festival wird in Vilnius stattfinden

Gestern ging im Dorf Kutschino in unmittelbarer Nähe der Mauern des Museums „Perm-36“ das öffentliche Permer Stadt-Festival „Posle Piloramy“ („Nach dem Pilorama-Forum“) zu Ende. Über vier Tage wurde ein vielseitiges, intellektuell anspruchsvolles Programm in Perm angeboten. Für den letzten Tag war von den Organisatoren eine Fahrt in das Museum geplant, von dem die Idee und der Name des internationalen Forums „Pilorama“ ausgegangen war und zu dem seit 2005 jährlich tausende Teilnehmer gekommen waren.

Mit zwei Bussen fuhren Mitglieder von Memorial und engagierte Bürger zum Museum „Perm-36“. Entgegen der Erwartung war das Museum, das sich heute „Gedenkkomplex“ nennt, geöffnet und die Exkursionsteilnehmer konnten sowohl die Gebäude, in denen früher die „strengen Haftbedingungen“ herrschten als auch das der „Sonderhaftbedingungen“ besichtigen.

Im Anschluss an die Besichtigung hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, auf dem Feld, wo früher das Zeltlager im Rahmen des „Pilorama“ seinen Platz hatte, dem Vorsitzenden des Permer Memorial Robert Latypov und dem ehemaligen Insassen von Perm-36 Viktor Pestov bei ihrem Exkurs in die Geschichte zu folgen. Ihre Ausführungen erwiesen sich nach Meinung vieler Zuhörer als weit interessanter, als der offiziell geführte Spaziergang durch den „Gedenkkomplex der politischen Verfolgung“.

„Die Empfindung der Leere würde ich als ein sehr schwieriges Gefühl beschreiben…“, sagte Maria Gorbatsch, Mitglied des örtlichen Memorial über den Museumsbesuch, „Die Museumsangestellten sind äußerst höflich. Aber alles ist seltsam. Ein graues Mädchen schleicht als grauer Schatten hinter uns über das leere Gelände. Fröhliche Plakate zum Tag des Sieges heben sich von der irgendwie monotonen Landschaft ab. Wer hätte gedacht, dass der Platz, wo früher die bunten Plakate des Pilorama-Forums leuchteten, einmal so armselig aussehen würde."

Zum Abschluss des offiziellen Programms des Festivals „Posle Pilramy“ nahmen alle an der Errichtung des symbolischen Kunstobjektes „Der Wind der Veränderungen“ teil.

Ende Juli wird es noch eine weitere Veranstaltung geben, die in Zusammenarbeit mit dem Pilorama-Festival entwickelt wurde: In Litauen ist das Forum „Europa-Laboratorium“ für „Young Professionals“ geplant. Im Juli 2012 fand das Vorgänger-Forum „Pilorama-Laboratorium“ noch im Museum Perm-36 statt. Die Kontinuität beider Laboratorien wird auch durch das gemeinsame Logo unterstrichen. Im Programm des diesjährigen ins Baltikum verlegten Forums sind Diskussionen zu den folgenden Themen vorgesehen: „Historische Erinnerung und Erinnerungskultur: Der Umgang mit Wahrnehmungskonflikten“, „Korruption: gemeinsame Last oder ein Stimulus für Fortschritt?“, „Grenzverkehr, Visa und Migration: europäische Grenzen in der globalisierten Welt“ und „Den öffentlichen Personennahverkehr neu denken: ein neues Outfit für „Problembezirke“. 

Weitere Informationen in Russisch über das Festival „Posle Piloramy“ finden Sie hier sowie auf der Website von Agenstvo socialnoj informacii und der Zeitung Zvezda.

Anke Giesen
18. Juli 2015

MEMORIAL Komi zu Strafzahlung verurteilt

MEMORIAL Komi ist zu einer Strafzahlung von 300.000 Rubeln verurteilt worden.

Der MEMORIAL-Verband Komi ist vor einigen Wochen in das Verzeichnis angeblicher „ausländischer Agenten“ eingetragen worden. Die Strafe wurde verhängt, weil MEMORIAL Komi sich nicht selbst als solcher hatte registrieren lassen.

Dieses Vorgehen ist inzwischen üblich geworden. Es sind davon etliche weitere Organisationen betroffen, etwa die Stiftung „Dinastija“ (die kürzlich ihre Auflösung eingeleitet hat) und MEMORIAL Jekaterinburg (in diesem Fall wurde die Strafzahlung inzwischen auf 100.000 herabgesetzt).

MEMORIAL Komi erhält seit Februar 2014 keinerlei Finanzierung aus dem Ausland mehr. Die kürzliche Eintragung ins "Agenten-Verzeichnis" wurde auch nicht mit ausländischer Finanzierung begründet, sondern mit der unterstellten "politischen Tätigkeit" der Organisation. Nach dem "Agentengesetz" müssen für eine Registrierung allerdings beide Voraussetzungen gegeben sein.

9. Juli 2015

Patriotische "Stopp-Liste"

Die Tätigkeit wichtiger ausländischer Stiftungen in Russland soll unterbunden werden


Auf seiner heutigen Sitzung hat der russische Föderationsrat dem Generalstaatsanwalt sowie dem Außen- und dem Justizministerium eine „patriotische Stopp-Liste“ von zunächst zwölf ausländischen Organisationen und Stiftungen übermittelt. Diese sollen daraufhin überprüft werden, ob sie für Russland „unerwünscht“ sind und unter das entsprechende, kürzlich verabschiedete Gesetz fallen. Damit würde jegliche weitere Zusammenarbeit dieser Stiftungen mit russischen Organisationen verboten.

Die zwölf jetzt für die "Stopp-Liste" vorgeschlagenen Stiftungen sind die Soros-Stiftung, die MacArthur-Stiftung, das NED (National Endowment of Democracy), das NDI (National Democratic Institute for International Affairs), das International Republican Institute, die Charles-Stuart-Mott-Stiftung, Freedom House, die Stiftung „Bildung für Demokratie“, das in Warschau ansässige Osteuropäische Zentrum für Demokratie, der Weltkongress der Ukrainer, der Koordinationsrat der Ukrainer und die "Feldmission Menschenrechte auf der Krim".

Konstantin Kosatschew, der Leiter des Internationalen Ausschusses im Föderationsrat, wies darauf hin, dass diese Liste keineswegs endgültig sei. Hinsichtlich der genannten zwölf Organisationen und Stiftungen habe es allerdings keinerlei Zweifel gegeben.

Die russischen Gesetze hätten zunächst nur Beschränkungen für Organisationen eingeführt, die in der Russischen Föderation selbst arbeiteten, nicht jedoch für die, die im Ausland ansässig sind und russische NGOs zum Teil indirekt, über Vermittler, finanzierten. Allein die Soros-Stiftung, das NED und die MacArthur-Stiftung hätten in den letzten drei Jahren russischen NGOS, die als „ausländische Agenten“ registriert sind, fast eine halbe Milliarde Rubel zur Verfügung gestellt, so Kosatschew.

Zur "Feldmission Menschenrechte auf der Krim" erklärte Andrej Jurov, Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, der der Feldmission angehört, diese sei gar keine Organisation: "Sie ist nicht registriert, sie hat keine Satzung und nicht einmal Richtlinien. Es handelt sich um einige Personen - den Leiter, das bin ich, und einige Experten, auch welche mit ausländischen Pässen".

8. Juli 2015

Komitee gegen Folter kündigt Auflösung an

Das Komitee gegen Folter, seit Jahresanfang als „ausländischer Agent“ registriert, wird sich auflösen, nachdem ein Gericht in Nizhnij Novgorod die Klage gegen die Eintragung zurückgewiesen hatte. Der Leiter des Komitees Igor Kaljapin bezeichnete diese Gerichtsentscheidung als "Fehler". Das Vorgehen gegen seine Organisation versteht er als Racheakt der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungskomitees - der Institutionen, bei denen sich das Komitee missliebig gemacht hatte.

Kaljapin erklärte jedoch, dass die Menschenrechtsarbeit fortgesetzt werde. An Stelle der einzelnen Fachabteilungen des Komitees sollten neue Organisationen gebildet werden.

Allerdings seien diese Organisationen gezwungen, nicht-öffentlich zu agieren. Da jedes Interview und jede Publikation als „politische Tätigkeit“ eingestuft werde, so Kaljapin, müsste ihre Arbeit für Journalisten „unzugänglich“ bleiben. Auskunft über ihre Tätigkeit würden nur die Kontrollorgane erhalten.

8. Juli 2015

Stiftung "Dinastija" gibt Auflösung bekannt

Russische Stiftung zieht Konsequenz aus ihrer Diffamierung als "ausländischer Agent"


Die Stiftung „Dinastija“, kürzlich als „ausländischer Agent“ registriert, wird ihre Tätigkeit einstellen. Die Entscheidung über ihre Selbstauflösung, die schon vor einigen Wochen angekündigt, aber dann aufgeschoben worden war, ist am 5. Juli gefallen.

Gegen die Registrierung von „Dinastija“ als „ausländischer Agent“ hatte es zahlreiche Proteste gegeben. Justizminister Konowalow hatte dagegen die strikte Anwendung des „Agentengesetzes“ verteidigt. Grund für die Registrierung war die Finanzierung zweier Projekte der „Liberalen Mission“.

Der Gründer der Stiftung Dmitrij Simin hatte es abgelehnt, gegen die Registrierung zu klagen – er verlangte eine Entschuldigung und selbstverständlich die Austragung aus dem Verzeichnis. Am 17. Juni hat ein Moskauer Bezirksgericht Dinastija zu einer Strafzahlung von 300.000 Rubeln verurteilt, weil sie sich nicht „freiwillig“ in das Register hatte eintragen lassen.

Dmitrij Peskow, Pressesprecher des Präsidenten, hat die Schließung von „Dinastija“ bedauert. Es habe keinerlei Verbotsmaßnahmen gegen die Stiftung gegeben, die Registrierung als „ausländischer Agent“ impliziere ja kein Verbot.

Dmitrij Simin hatte „Dinastija“ im Jahre 2002 gegründet. Sie förderte vor allem Projekte in den Bereichen Wissenschaft und Bildung.

Stalin-Büste in Choroschewo im Gebiet Twer

Proteste blieben erfolglos


Ungeachtet zahlreicher Proteste von Historikern und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen ist in Choroschewo im Gebiet Twer vor einem Holzhaus eine Stalin-Büste aufgestellt und eine Ausstellung eröffnet worden. Stalin hatte in diesem Haus im Sommer 1943 eine Nacht verbracht (vom 4. zum 5. August).

Die Ausstellung ist den Kämpfen an der Kalinin-Front und der Rolle Stalins beim Sieg über den Faschismus gewidmet. Initiiert wurde sie von der Russischen Gesellschaft für Militärgeschichte, deren Direktor in einem Interview mit der „Izvestija“ sagte, die Stalin-Büste sei „auch ein Denkmal für eine heroische Epoche unseres Landes."

Der MEMORIAL-Verband in Twer sowie die Russische Gesellschaft MEMORIAL hatten bereits vor Monaten entschieden gegen das Stalin-Museum protestiert, die Internationale Gesellschaft MEMORIAL hält Stalin-Denkmäler grundsätzlich für inakzeptabel.

7. Juli 2015

Durchsuchung bei "Golos" in Moskau

Heute wurden bei der Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“ in Moskau großangelegte Haussuchungen durchgeführt, sowohl in den Wohnungen der Leiter der Organisation als auch in den Büroräumen selbst.

Als Begründung dienten angebliche Ermittlungen in einem Verfahren gegen Ljudmila Kuzmina, eine Golos-Aktivistin im Wolgagebiet. Dieses Verfahren steht aber vor der Einstellung. Grigorij Melkonjanz, dessen Wohnung auch durchsucht wurde, sieht darin daher eher einen Vorwand, um Golos unter Druck zu setzen, ihre Arbeit – Wahlbeobachtungen – zu behindern und Informationen zu bekommen. In Melkonjanz‘ Wohnung wurden Dokumente und Computer beschlagnahmt. Zunächst war als Grund für die Durchsuchung der Wohnung angegeben worden, dass Wasser bei den Nachbarn eindringe. Dies berichtet die Anwältin Olga Gnezdilova. Ihr wurde der Zutritt zu der Wohnnung ihres Mandanten verweigert.

Zur Durchsuchung des Büros von Golos gesellte sich ein Fernsehteam des Kanals „Lifenews“, das angeblich aus den sozialen Netzen davon erfahren hatte. Zu den Räumlichkeiten wurde ihnen der Zugang jedoch verwehrt.

Olga Gnezdilova erklärte,Golos werde gegen die Durchsuchungen klagen, die gesetzwidrig und unkorrekt durchgeführt wurden, "denn wir glauben, dass auf diese Weise versucht wird, die Arbeit unabhängiger Wahlbeobachter und überhaupt die Arbeit der Organisation zu behindern."
 


7. Juli 2015

Ella Poljakova erhält Hessischen Friedenspreis

Leiterin der "Soldatenmütter St. Petersburg" ausgezeichnet


Ella Poljakova, die Leiterin der „Soldatenmütter St. Petersburg“, wird am 17. Juli mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet. Dies wurde vor einigen Tagen in Wiesbaden bekantngegeben. Die Laudatio hält Gernot Erler.
Der Hessische Friedenspreis wird seit 1994 an Persönlichkeiten vergeben, die sich um Frieden und Völkerverständigung verdient gemacht haben.

Harald Müller, Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, erklärte dazu: „Als führendes Mitglied und Sprachrohr der ‚Soldatenmütter von St. Petersburg‘ steht Ella Mikhaylovna Polyakova für ein mutiges Engagement gegen menschenunwürdige Verhältnisse in den russischen Streitkräften und den von Russland geführten Kriegen in Tschetschenien, Georgien und der Ukraine.“

Die Arbeit der Petersburger „Soldatenmütter“ wird zunehmend behindert. Die Organisation bekommt keine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland. Dennoch wurde sie Ende August 2014 zum „ausländischen Agenten“ erklärt (unmittelbar nachdem sie von russischen Soldaten berichtet hatten, die in der Ukraine ums Leben gekommen waren). Die im letzten Jahr bewilligte staatliche Förderung läuft demnächst aus, und ein neuer Antrag wurde - wie bei etlichen anderen NGOs, die als "ausländische Agenten" verzeichnet wurden - kürzlich abgelehnt.

7. Juli 2015

"Das Urteil hätte ein Freispruch sein müssen"

Verfahren gegen Mitglied der "Soldatenmütter" endet mit bedingtem Schuldspruch


Ljudmila Bogatenkova, die Leiterin des Komitees der Soldatenmütter in Budjonnovsk, gegen die im letzten Jahr ein Verfahren wegen Betrugs eingeleitet worden war, ist am 1. Juli in einem Fall freigesprochen und im zweiten zu einem Jahr Haft verurteilt, aber sofort amnestiert worden.

Vertreter von Menschenrechtsorganisationen gehen von einem fabrizierten Verfahren aus. Es war eingeleitet worden, unmittelbar nachdem sich Ljudmila Bogatenkova um Aufklärung der Todesumstände mehrerer russischer Soldaten im Sommer 2014 bemüht hatte. Das Ermittlungsverfahren habe keinerlei Beweise gegen Bogatenkova erbracht. Der Belastungszeuge in dem Verfahren, in dem Bogatenkova schuldig gesprochen wurde, sagte selbst vor Gericht, Polizisten seien zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihn zu der Anzeige genötigt

„Das Urteil hätte ein Freispruch sein müssen“, kommentierte Sergej Krivenko, Mitglied im Menschenrechtsrat beim Präsidenten und Vorstandsmitglied von MEMORIAL. „Die Amnestie ändert ja nichts an der Tatsache, dass Ljudmila Bogatenkova schuldig gesprochen wurde, d. h. als Verbrecherin gilt. Dieses Urteil, wie überhaupt das ganze Verfahren, ist in meinen Augen die Rache an Ljudmila Bogatenkova für ihre Menschenrechtsarbeit.“

1. Juli 2015

Zwei "ausländische Agenten" weniger

Erste Austragungen aus dem "Agenten-Register"


Inzwischen sind, nachdem im März dieses Jahres die entsprechende gesetzliche Möglichkeit geschaffen wurde, die ersten beiden (existierenden) Organisationen aus dem Register für angebliche „ausländische Agenten“ ausgetragen worden – Zentrum für staatsbürgerliche Analyse und Unabhängige Forschung GRANI in Perm und das Zentrum zur Unterstützung gesellschaftlicher Initiativen in Kostroma. Im Mai waren bereits vier NGOs gestrichen worden, die sich – wegen dieser Eintragung – aufgelöst hatten.

Das Zentrum in Kostroma hatte seine Tätigkeit ebenfalls bereits beendet. Der Leiter der Organisation Sorokin erklärte, der Vorstand werde jetzt über eine Wiederaufnahme der Arbeit entscheiden. Die Klage beim Europäischen Gerichtshof werde aufrecht erhalten – „denn wir sind begnadigt, nicht rehabilitiert. Wir werden den Beschluss über die Eintragung ins Register und die Strafzahlung anfechten, das Hauptziel ist aber die Abschaffung des Gesetzes“ (gemeint ist das "Agentengesetz").

Das Zentrum GRANI hatte den Ausschluss aus dem Verzeichnis beantragt,da es mehr als ein Jahr kein Geld mehr aus ausländischen Quellen bekommen hatte. Es betrachtet die Aufnahme in das Register nach wie vor als unberechtigt (da es nicht politisch tätig sei) und klagt dagegen (die Gerichtsverhandlung steht im Juli an). „Mit dem heutigen Zwischenergebnis sind wir zufrieden, wir gehören nicht in das Register. Allerdings haben wir nicht vergessen, dass sich sehr viele sehr gute Organisationen in dem Register befinden“, erklärte die Leiterin des Zentrums Svetlana Makovezkaja.

Im Übrigen bedeutet der Ausschluss aus dem Register nicht, dass die betreffenden NGOs in dem Verzeichnis nicht mehr zu finden sind – sie bleiben darin aufgelistet, allerdings wird das Datum ihres Austragung angegeben.

30.6.2015

Ausländische Stiftungen unerwünscht?

Russischer Föderationsrat veranlasst Überprüfung ausländischer Stiftungen


Der russische Föderationsrat hat die Generalstaatsanwaltschaft sowie das Justizministerium damit beauftragt, die Arbeit „unerwünschter Organisationen“ im „Rahmen der geltenden Gesetzgebung“ zu überprüfen. Im Mai war im Schnellverfahren ein entsprechendes Gesetz verabschiedet worden, das auch für „ausländische unerwünschte Organisationen“ ein spezielles Register vorsieht. Präsident Putin hatte es am 23. Mai unterzeichnet.

Der Leiter des internationalen Ausschusses Konstantin Kosatschew nannte ausdrücklich „die Soros-Stiftung, ‚National Endowment of Democracy‘ (NED), die MacArthur Foundation, das National Democratic Institute for International Affairs (NDI) und viele andere“. Die Gelder dieser Stiftungen kämen „nicht den Bürgern und nicht der wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung im Lande zugute“, sondern sollten vielmehr, so Kosatschew, dem Sturz der gesetzlich gewählten Regierung den Weg bereiten.

Stiftungen, die als „unerwünscht“ registriert werden, müssen ihre Projektförderung nach dem neuen Gesetz in Russland beenden. Russische NGOs, die mit ihnen zusammenarbeiten, machen sich strafbar.

24. Juni 2015

Nicht alle "ausländischen Agenten" sind "feindlich"

Russischer Justizminister äußert sich zur Stiftung "Dinastija"


Im Hinblick auf die kürzlich zum „ausländischen Agenten“ gekürte Stiftung „Dinastija“ hat der russische Justizminister Alexander Konowalow erklärt, sie sei durch eigene Schuld in das Register eingetragen worden. Die Juristen der Stiftung hätten nicht rechtzeitig bedacht, dass jegliche Finanzierung aus dem Ausland, welcher Art auch immer (also auch Einnahmen) unter das NGO-Gesetz über „ausländische Agenten“ falle. Konovolav traf diese Feststellung anlässlich eines Treffens mit Duma-Abgeordneten von "Edinaja Rossija".

Konovalov sagte, dass „längst nicht alle Organisationen, die im Register für ‚ausländische Agenten‘ verzeichnet sind, absolut feindlich“ seien. „In ihrer Tätigkeit gab es auch nützliche Momente. Das gilt auch für die Stiftung ‚Dinastija‘“, so der Minister. Aber die russischen Gesetze müssten von allen eingehalten werden.

Die Eintragung von "Dinastija", die vor allem wissenschaftliche Projekte unterstützt, in das "Agenten-Verzeichnis" hatte zahlreiche Proteste ausgelöst. Der Gründer von "Dinastija" Dmitrij Simin hatte erklärt, die Finanzierung seiner Stiftung einzustellen, sollte die Registrierung nicht rückgängig gemacht werden. Der Stiftungsvorstand kündigte daraufhin an, in diesem Fall werde die Stiftung ihre Arbeit einstellen.

16. Juni 2015

"Unerwünschte ausländische Organisationen"

Empfehlungen von Duma-Abgeordneten


Seit Präsident Putin am 23. Mai das Gesetz über „unerwünschte ausländische Organisationen“ unterzeichnet hat, ist es bereits zu entsprechenden Vorschlägen gekommen. Der Duma-Abgeordnete der LDPR Vitalij Solotschevskij empfahl gleich fünf Organisationen, die als „unerwünscht“ zu verzeichnen seien: die Carnegie-Stiftung, Transparency International, Amnesty International, Human Rights Watch und die Stiftung MEMORIAL International. Die Abgeordneten Raschkin und Obuchov (beide KPRF) nannten die Soros-Stiftung.

Die Generalstaatsanwaltschaft antwortete auf den Vorschlag Solotschevskijs, die von ihm genannten Organisationen befänden sich außerhalb des Bereichs russischer Jurisdiktion und könnten daher nicht daraufhin überprüft werden, ob sie unter das Gesetz über „unerwünschte Organisationen“ fallen. Solotschevskij habe keinerlei konkrete Hinweise geliefert, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung, die Verteidigungsfähigkeit oder die Sicherheit des russischen Staates gefährdeten. Sein Antrag werde an die Sicherheits- und Kontrollorgane weitergeleitet. Sollten von ihnen entsprechende Informationen eingehen, würden die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet.

15. Juni 2015

MEMORIAL Komi als "ausländischer Agent" registriert

Mit MEMORIAL Komi ist ein weiterer MEMORIAL-Verband (neben dem Menschenrechtszentrum Memorial in Moskau und MEMORIAL Jekaterinburg) als Organisation verzeichnet worden, „die die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt“. Vorangegangen war eine erneute Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft, der zum letzten Jahreswechsel und danach etliche NGOs in Russland unterzogen wurden. An MEMORIAL Komi kam die Reihe im Mai. Im September 2013 hatte das russische Justizministerium ausdrücklich erklärt, die Organisation sei „kein ausländischer Agent“.

Zuvor hatte bereits Jurij Schabaev, Leiter des Sektors für Ethnologie am Institut für Sprache, Literatur und Geschichte an der Universtität Syktyvkar, im Auftrag des FSB ein Expertengutachten über Veröffentlichungen im „7x7journal“, dem Internet-Publikationsorgan von MEMORIAL Komi, erstellt. Sein ausführliches Gutachten untermauert er mit zahlreichen Zitaten aus wissenschaftlichen Arbeiten und Nachschlagewerken. Er kommt zum Schluss, dass man die untersuchten Unterlagen „als Form der Agitation betrachten“ könne, „die sich gegen die bestehenden Machtinstitutionen richtet.“ Er schließt mit der Bemerkung: „Es besteht Anlass, die Autoren warnend darauf hinzuweisen, dass derartige Handlungen in der Zukunft unzulässig sind und gegebenenfalls zu strafrechtlicher Verfolgung führen können.“

Als Material für dieses Urteil dienten u. a. Reportagen über den Prozess gegen Alexej Nawalnyj.

Das Argument, dass hier Kritik an den existierenden Machtinstitutionen geübt wird, dient als Nachweis der „politischen Tätigkeit“ im Sinne des „Agentengesetzes“. Damit wird die Registrierung von Memorial Komi als „ausländischer Agent“ begründet. Allerdings entspricht dies nicht einmal den Vorschriften des „Agentengesetzes“ – da die zweite Voraussetzung, nämlich ausländische Finanzierung, nicht gegeben ist.

In einer Presseerklärung aus Anlass der letzten Überprüfung vom Mai d. J. hält MEMORIAL Komi fest, dass seit November 2012 (dem Inkrafttreten des „Agentengesetzes“) kein Antrag an ausländische Stiftungen mehr gestellt wurde und die letzte Finanzierung aus dem Ausland (ein bereits laufendes Projekt) im Februar 2014 auslief. Damit fehlt selbst nach den geltenden Bestimmungen jede rechtliche Grundlage für die Eintragung.

Der Jahresbericht für 2014 von MEMORIAL Komi findet sich hier (in russischer Sprache).

14. Juni 2015

"Gesetz der Sadisten"

Protest gegen Gesetzentwurf


Die Regierung hat kürzlich ein Gesetz in die Duma eingebracht, das das Recht, Gefangenen gegenüber Gewalt anzuwenden, beträchtlich ausweitet. Gewalt einzusetzen soll bereits erlaubt werden, sobald ein Gefangener die Haftordnung verletzt (nach den geltenden Regeln ist das bereits der Fall, wenn ein Gefangener tagsüber auf dem Bett liegt oder einen Vollzugsbeamten nicht grüßt). Bei „Widerstand gegen gesetzliche Forderungen“ darf ebenfalls Gewalt angewendet werden. Im Gesetz wird ausführlich aufgelistet, wann welche Mittel erlaubt werden sollen.

Lev Ponomarjov (Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „Za prava tscheloveka" – „Für Menschenrechte“) berichtet, der Gesetzentwurf sei übereilt in die Duma eingebracht worden, ohne die sonst übliche vorherige Begutachtung durch die Institution des Menschenrechtsbeauftragten.

Vertreter der Menschenrechtsbewegung bezeichnen dies als ein „Gesetz der Sadisten“. Sie protestierten dagegen mit Einzelmahnwachen (die nicht angemeldet werden müssen) vor der Duma, darunter Ljudmila Alekseeva, Sergej Kovalev, Lev Ponomarjov und Valerij Borschtschov. Borschtschov betonte, ein solches Gesetz stehe im Widerspruch zum internationalen Recht, das Folter und das Schlagen von Gefangenen eindeutig verbietet. Kovalev sagte, das Gesetz solle im Falle seiner Annahme dazu dienen, Willkürakten eine gesetzliche Grundlage zu geben. Wenn der Entwurf durchkäme, könnte ein Gefangener dafür geschlagen werden, dass er die Mütze vor einem Aufseher nicht abgenommen oder die Baracke in Hausschuhen verlassen habe. Das Gesetz stehe in der Tradition des GULAG.

7. Juni 2015

Register für "unerwünschte" ausländische Organisationen

Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen


Für unerwünschte ausländische Organisationen soll es in Russland bald auch ein spezielles Register geben. Das im Januar eingebrachte Gesetz wurde am 15. Mai in zweiter Lesung behandelt und mit großer Mehrheit angenommen (bei nur drei Gegenstimmen). Es wurde dahingehend präzisiert, dass nur Nichtregierungsorganisationen betroffen sind.

Unerwünscht ist eine NGO, wenn sie die russische Verfassungsordnung, die Verteidigungsfähigkeit oder die Staatssicherheit gefährdet. Die Entscheidung über eine entsprechende Einstufung einer ausländischen NGO soll beim Generalstaatsanwalt oder seinem Vertreter in Absprache mit dem Außenministerium liegen.

Unerwünschte ausländische NGOs sollen in Russland keine Filialen unterhalten, keine finanziellen Operationen durchführen, keine Informationsmaterialien verbreiten und Projekte durchführen können. Vor allem aber dürfen sie russische NGOs nicht finanziell unterstützen. Russische NGOs, die mit derartigen „unerwünschten“ Vereinen kooperieren, sollen dafür belangt werden.

Der Menschenrechtsrat beim Präsidenten hatte im März ein ablehnendes Gutachten über den Gesetzentwurf abgegeben. Die bereits bestehende Gesetzgebung reiche voll aus, um die Tätigkeit extremistischer oder terroristischer ausländischer Organisationen zu unterbinden.

Human Rights Watch und Amnesty International haben entschieden gegen diesen Gesetzentwurf protestiert. Er steht für sie in einer Linie mit dem berüchtigten „Agentengesetz“.

Für Natalia Taubina, die Leiterin der NGO „Gesellschaftliches Verdikt“, ist eindeutig, dass sich das Gesetz gegen vom (russischen) Staat unabhängige Organisationen richtet. Jegliche kritische Bemerkung zur Verfassungsordnung könne dazu führen, dass nicht nur unabhängige internationale Organisationen für unerwünscht erklärt würden, sondern auch solche, die russische Organisationen finanziell unterstützten und gemeinnützig tätig seien.

16. Mai 2015

Immer mehr Organisationen sollen "ausländische Agenten" sein

Stiftung "Dinastija" im Visier


In den letzten Wochen wurden etliche weitere russische Nichtregierungsorganisationen in das berüchtigte „Agentenverzeichnis“ eingetragen, das angebliche ausländische Agenten registrieren soll, insgesamt sind es inzwischen 59. Dazu gehört die NGO Grazhdanskoe sodejstvie (Bürgerunterstützung), die Binnenflüchtlinge und Migranten betreut und dabei den staatlichen Behörden oft unentbehrliche Hilfe leistet. Finanzielle Unterstützung enthält sie sowohl aus dem Ausland als auch aus Russland selbst.

Ebenso registriert wurde die Nichtregierungsorganisation (ANO) Perm-36, die bekanntlich aus anderen Gründen vor einigen Wochen ihre Auflösung eingeleitet hat (diese Prozedur ist noch nicht abgeschlossen). In beiden Fällen beruft sich das Justizministerium, das die Registrierung vornimmt, auf vorangegangene Überprüfungen durch die Staatsanwaltschaft.

Beide Organisationen haben erklärt, dass sie diese Entscheidung anfechten würden.

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass sogar die Stiftung „Dinastija“ als „ausländischer Agent“ abgestempelt werden soll. Diese russische Stiftung fördert in erster Linie wissenschaftliche Forschungsprojekte und Konferenzen, Bildungseinrichtungen und Nachwuchswissenschaftler.

Der Wissenschaftsrat beim Bildungsministerium hat entschieden gegen diese Absicht protestiert. „Wenn die Stiftung geschlossen wird, wäre das für die Wissenschaft in Russland eine ausgesprochene Katastrophe. Es würde sich nicht nur negativ auf die zahlreichen Projekte auswirken, die die Stiftung unmittelbar unterstützt, sondern den gesamte wissenschaftlichen Bereich und die Zukunft von Wissenschaft und Technologie des Landes, ja die Zukunft des Landes überhaupt gravierend beeinträchtigen.“

13. Mai 2015