Mittwoch, 11. März 2015

Menschenrechtszentrum MEMORIAL verliert Gerichtsverfahren

Ein Moskauer Bezirksgericht hat heute die Eintragung des Menschenrechtszentrums MEMORIAL in das berüchtigte Register "ausländischer Agenten" für rechtens erklärt.

Es schloss sich damit der Auffassung des Justizministeriums an, das die Eintragung veranlasst hatte. Anders als der Anwalt von MEMORIAL Kirill Koroteev, der eine "politische Tätigkeit" von MEMORIAL in Abrede stellte, betonte der Vertreter des Justizministeriums, die politische Komponente bei MEMORIAL sei eindeutig, und damit sei die Verzeichnung als "ausländischer Agent" gerechtfertigt.

Das Menschenrechtszentrum MEMORIAL war im Juli vergangenen Jahres in das Verzeichnis eingetragen worden. Inzwischen befinden sich bereits45 Nichtregierungsorganisationen in diesem Register.

Dienstag, 10. März 2015

"Feindliche Übernahme" des GULAG-Museums "Perm-36"

Alexander Kalich zur Situation der Gedenkstätte Perm-36


Die Entwicklung im Zusammenhang mit dem Museum „Perm-36“ ist leider zu ihrem logischen Ende gekommen. Alles Üble, das sich im Lande abspielt, spiegelt sich in dieser kleinen Geschichte wider – ein schwacher Gouverneur, der sich dreht und wendet und schließlich dem Druck der Kommunisten beugt, ehemalige Lageraufseher, die die Geschichte des GULAG schreiben (nein – das ist keine Metapher!).

Allen Bemühungen der autonomen Nichtregierungsorganisation (ANO) Perm-36 zum Trotz, den Gouverneur Viktor Basargin zu überzeugen, und ungeachtet all unserer Appelle (wir haben über 70.000 Unterschriften gesammelt) wurde beschlossen, den Kurs zu ändern. Aus „Perm-36“ soll ein Museum werden, das von der schweren und edelmütigen Arbeit der heldenhaften GULAG-Mitarbeiter berichtet und zeigt, welche Technologie sie nutzten, um unser großes Volk vor der fünften Kolonne und Nazis aus der Ukraine zu schützen.

Stellen Sie sich vor – im Ernst! Die erste Ausstellung im neuen „Perm-36“ ist genau diesem Thema gewidmet - den Mitteln und technischen Methoden der Wachmannschaft, niederträchtige Nationalisten, Faschisten und Vaterlandsverräter in Gefangenschaft zu halten.

Im Oktober hatte eine Besprechung im Beisein von Michail Fedotov (dem Vorsitzenden des Menschenrechtsrats) und Vladimir Lukin (ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter) stattgefunden. Damals sah es so aus, als hätte man sich mit der Administration geeinigt. Es ging jetzt nur noch darum, einen Kooperationsvertrag zwischen den beteiligten zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen abzuschließen.

Damit hatte man Dampf abgelassen, und alle beruhigten sich. Und dann kam es zu mehreren geheimen Zusammenkünften, man übte Druck aus … Das ist eine sonderbare Geschichte. Bei den Diskussionen in der Präsidentenadministration hieß es ausdrücklich, das Museum müsse in der bisherigen Form erhalten bleiben, und das Tauziehen sollte beendet werden. Es gab viele Versprechungen. Aber dann schalteten sich irgendwelche „unsichtbaren Kräfte“ ein. Das ist schändlich und unsauber.

Man hat die ANO Perm-36 sdahin gebracht, dass sie keine andere Lösung mehr sah als die Selbstauflösung. Abgesehen von ständigen Versuchen, ihr den Status eines „ausländischen Agenten“ anzuhängen, und endlosen Schikanen und Geldstrafen, bestand der Hauptgrund darin, dass die neue Museumsleitung die Zielsetzung des Museums unbedingt ändern und das Museum umfunktionieren wollte.

Der ganze Skandal hatte damit begonnen, als die Idee aufgekommen war, Perm-36 ins Bundesprogramm zum Gedenken an die Opfer politischer Verfolgungen zu integrieren. Das stellte eine Finanzierung von etwa 500 Millionen Rubeln in Aussicht. Was folgte, glich einer feindlichen Übernahme: Ohne dass die ANO "Perm-36" davon Kenntnis gehabt hätte, wurde eine staatliche Organisation ins Leben gerufen und die bisherige Direktorin des Museums (Tatjana Kursina) abgesetzt, und erst dann wurde die ANO „Perm 36“ informiert. Dabei ist es diese Organisation gewesen, die das Museum ins Leben gerufen und eingerichtet hat; ich selbst habe die ersten Steine mit angebracht.

Jetzt stellt sich die Frage, ob das „neue“ Museum überhaupt noch eine Gedenkstätte sein wird oder nicht. Die UNESCO hatte Interesse angemeldet: Es sollte den Status eines Denkmals der Weltgeschichte bekommen. Wie soll sich MEMORIAL Perm dazu verhalten? Wir werden (…) uns dafür einsetzen, dass das Museum in seiner augenblicklichen Ausrichtung weder ins Programm zum Gedenken an die Opfer politischer Verfolgung integriert noch in das Verzeichnis der UNESCO aufgenommen wird.

Die Stadt Perm hatte seinerzeit den Ruf, die Hauptstadt der Zivilgesellschaft zu sein. Jetzt ist es ein Ort, der sich im Niedergang befindet. Wie übrigens ganz Russland. Die Geschichte mit „Perm-36“ fügt sich in den gesamten Hintergrund ein, es entspricht der gesamten derzeitigen Entwicklung in Russland: Krieg, die Ermordung von Nemzow …

Es bleibt kaum noch Luft zum Atmen.

Freitag, 6. März 2015

Ende für "Perm-36"

Unabhängige Organisation "Perm-36" gibt Auflösung bekannt

Die unabhängige Organisation (ANO) „Perm-36“ gab am 3. März bekannt, dass sie sich auflösen und ihre Liquidierung einleiten werde.

Die seit mehr als einem Jahr andauernden zähen Verhandlungen mit der Gebietsverwaltung Perm unter Beteiligung etlicher anderer Instanzen über den Erhalt und die künftige Gestaltung des Museums Perm-36 hatten zu keinerlei Ergebnis geführt. Übereinkünfte, die zwischenzeitlich erreicht schienen, hatten keinen Bestand. Die Leitung von „Perm 36“ hält die Möglichkeiten, doch noch auf partnerschaftlicher Basis eine Einigung zu erreichen, nunmehr für erschöpft und zieht daraus die Konsequenz.

Eine Petition für den Erhalt des Museums Perm-36 hatten weit über 70.000 Personen unterschrieben. Die Organisation bedankte sich ausdrücklich für diese Unterstützung. Ebenfalls dankte sie ihren Partnern aus den verschiedenen MEMORIAL-Verbänden, den Menschenrechtsbeauftragen der Region und des Landes, Mitarbeitern der Präsidialverwaltung und einer Reihe weiterer Personen, die sich bis zum Schluss um eine Vermittlung in den Verhandlungen bemüht hatten.

Die Arbeit zur Aufklärung über die tragische historische Erfahrung werde fortgeführt, sich künftig aber weniger in der Öffentlichkeit abspielen und mehr akademischer Natur sein.

Sonntag, 1. März 2015

Zum Mord an Boris Nemzow

Erklärung der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar wurde Boris Nemzow erschossen, im Zentrum von Moskau, hundert Meter vom Kreml entfernt. Das ist ein politischer Mord.

In den letzten Jahren und Monaten haben die russische Regierung und regierungstreue Massenmedien eine Atmosphäre des Hasses geschaffen, der jeglichem Andersdenken gilt. Die staatliche Propaganda nimmt wie ein Scheinwerfer Zielscheiben für Mörder ins Visier; und sie vermittelt  letzeren darüber hinaus das Gefühl, dass sie ungestraft davonkommen werden.

Oppositionelle oder schlicht unabhängige gesellschaftliche und politische Aktivisten werden als feindliche Agenten bezeichnet, man erklärt sie im Grunde genommen zu einem „erlaubten Ziel“. Am 1. März soll im Kanal NTV eine weitere Sendung aus der Serie „Anatomie des Protestes“ ausgestrahlt werden, in der Boris Nemzow als einer der maßgeblichen „Feinde“ dargestellt wird.

Aber es geht hier nicht allein um Propaganda. Auf Anregung der Machthaber wurde der „Antimajdan“ ins Leben gerufen – Kampfverbände, deren erklärtes Ziel darin besteht, die Opposition mit Gewalt, ohne Ansehen der Gesetze, zu unterdrücken. Diese Kräfte stehen in engem Kontakt zu den Angehörigen der „Volkswehr“, die in der Ostukraine Krieg führen. Von dort kehren Personen nach Russland zurück, die Erfahrung darin haben, direkt und ungestraft Waffengewalt anzuwenden.

Heute kennen wir die Namen der Ausführenden, der Organisatoren und Auftraggeber des Verbrechens noch nicht. Aber wir können mit Sicherheit sagen: Es sind die russischen Machthaber, die die Voraussetzungen für den Mord an Boris Nemzow geschaffen haben.

Klage des Menschenrechtszentrums MEMORIAL gegen Eintragung in "Agenten-Verzeichnis"

Verhandlung erneut vertagt

Die für den heutigen 19. Februar anberaumte Gerichtsverhandlung - es geht um die Klage des Menschenrechtszentrums MEMORIAL gegen die Eintragung ins Register angeblicher "ausländischer Agenten" - ist erneut vertagt worden.

Am 27. Januar hatte das Gericht vom Justizministerium Unterlagen angefordert, die als Grundlage für die skandalöse Eintragung gedient hatten. Auf der heutigen Verhandlung stellte das Justizministerium den Antrag, die Staatsanwaltschaft hinzuzuziehen, da die Eintragung auf Grund einer Überprüfung und entsprechenden Beurteilung durch letztere erfolgt sei.

Das Menschenrechtszentrum MEMORIAL hatte damals eine Aufforderung erhalten, sich als "ausländischer Agent" registrieren zu lassen. Die Klage gegen diesen Bescheid hatte es nach einem langwierigen Verfahren am 23. Mai 2014 verloren.

Vor wenigen Tagen hat ein Urteil des russischen Verfassungsgerichts das Gesetz, das die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft regelt und ihr umfassende Überprüfungsrechte gewährt, für verfassungswidrig erklärt. Das dürfte MEMORIAL in dem Verfahren als zusätzliches Argument zugute kommen.

Der nächste Termin wurde für den 11. März angesetzt.

19. Februar 2015