Sergej Krivenkos geplanter (nicht zustande gekommener) Auftritt anlässlich des Treffens mit Präsident Putin im Rahmen einer Sitzung des Rats für Zivilgesellschaft und Menschenrechte
"In
Anbetracht der begrenzten Zeit hier einige Thesen über das gefährliche Niveau
der Gewalt im Land.
In
diesem Jahr ist die Schwelle zur Gewalt in unserer Gesellschaft drastisch gesunken.
Es hat den Anschein, dass allen aktuellen Problemen heute ausschließlich mit
Gewalt und Verboten begegnet wird.
Gewalt
ist jedoch eine außergewöhnliche Maßnahme. Ihr Einsatz erfordert entsprechende
Regelungen, sonst können die Folgen schwerwiegender sein als die eigentlichen
Ursachen.
Sobald
eine Entscheidung zur Gewaltanwendung getroffen wurde, ist es notwendig,
Maßnahmen zur Gesundung der Menschen und zur Wiederherstellung des Lebensraumes
zu planen und – das Allerwichtigste – zur Wiederherstellung der Beziehungen
unter den Menschen, den Gesellschaften und den Ländern.,
Ich
bitte um Entschuldigung für diese Anfängerweisheiten, aber mir scheint, dass
das jetzt laut gesagt werden muss.
Der
Anschluss der Krim sollte einige wichtige Probleme lösen, hat aber faktisch das
System der Sicherheit untergraben, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg
herausgebildet hatte und auf der Helsinki-Schlussakte von 1975 basierte. Die
Bedrohung ist durch die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln gestiegen, und
damit auch die Gefahr eines Weltkrieges.
Unsere
Zivilisation ist sehr zerbrechlich, die Sicherheit der Welt unteilbar und kann
nicht nur für irgendein Land separat gelten. Die Sicherheit der Welt kann nur
durch die ganze Welt aufgebaut werden. Die
Ideen und Prinzipien der Helsinki-Schlussakte müssen unterstützt und weiter entwickelt werden.
Die
Unterstützung für die Menschen im Donbass, die sich die Unabhängigkeit von der zentralen
ukrainischen Staatsmacht wünschen, die Unterstützung der russischen Bürger, die
sich an illegalen militärischen Formationen auf dem Territorium der Ukraine
beteiligen, hat offenbar auch einige wichtige staatliche Aufgaben gelöst. Aber
diese Handlungen haben Russland und die Ukraine entzweit und eine ganze Reihe
neuer Probleme geschaffen. Die russischen Staatsbürger, die sich an diesem
Konflikt beteiligt haben, „sind auf den Geschmack des Krieges gekommen“. Dabei
ist das kein gewöhnlicher Krieg, sondern ein Partisanenkrieg. Wie werden sie wieder
in das friedliche Leben in Russland eingegliedert werden? Wie kann ein Waffenstrom
zurück nach Russland verhindert werden? Wie können sich jetzt die Völker der
Ukraine und Russland wieder versöhnen?
Die
Hauptmethode, mit der man Meinungsverschiedenheiten überwindet, ist der Dialog.
Aber für einen Dialog ist es notwendig, die gegenseitigen Argumente zu hören
und zu verstehen. Was im Osten der Ukraine geschieht, wird in Russland als
„Bürgerkrieg in der Ukraine“ eingestuft. Und in der Ukraine nennt man diese
Ereignisse „Aggressionen Russlands gegen die Ukraine“. Ist Russland bereit, den
Bürgern der Ukraine zuzuhören und ehrlich und offen die entstandenen Probleme
zu diskutieren?
Der mit
den Minsker Vereinbarungen begonnene Prozess der friedlichen Beilegung der
Krise im Osten der Ukraine muss unbedingt beibehalten werden, auch für die
psychische Erholung des öffentlichen Bewusstseins der russischen Gesellschaft.
Russland
muss aus dem Kriegszustand heraustreten, aus allen Kriegen – dem Informationskrieg,
dem hybriden Krieg, dem Kalten Krieg.
Das
Erzeugen einer Kriegsstimmung in der Gesellschaft, das Kultivieren eines
„Feindbildes“ und einer Atmosphäre militärischer Konfrontation, eines
ständigen „Ausnahmezustandes“ in allen gesellschaftlichen Bereichen, die Initiierung
und Ausbreitung von Gewalt sind extrem gefährlich und unberechenbar.
Herr
Präsident! Ich übergebe Ihnen die von Ella Poljakova und mir verfasste
Anfrage zu russischen Wehrdienstleistenden.
Danke.
Übersetzung: Sabine Erdmann-Kutnevič