Mittwoch, 30. Oktober 2013

Verwarnung gegen Golos-Stiftung Sibirien „gesetzwidrig und ungültig“

Ein Bezirksgericht in Novosibirsk hat die Verwarnung der Staatsanwaltschaft gegen die Stiftung Golos-Sibirien („interregionale Stiftung zur Förderung der Zivilgesellschaft ‚Golos-Sibirien‘“) aufgehoben und sie für „gesetzwidrig und ungültig“ erklärt. Die Stiftung ist in Sibirien und im Fernen Osten tätig, sie hat neun Filialen.

„Golos-Sibirien“ war in der Verwarnung darauf hingewiesen worden, dass die Organisation sich vor jeglicher politischer Betätigung erst als „ausländischer Agent“ zu registrieren habe. Die Möglichkeit politischer Aktivitäten sei in ihrer Satzung vorgesehen. Die Geschäftsführerin von Golos hat vor Gericht betont, dass Golos weder politisch tätig sei noch habe sie seit Inkrafttreten des „Agentengesetzes“ im November 2012 ausländische Fördergelder erhalten.

Der Staatsanwalt selbst räumte ein, bei Golos seien keinerlei Gesetzesverstöße festgestellt worden. Die Verwarnung sei lediglich ein Warnhinweis, dass Gesetzesverletzungen nicht zulässig seien.

Gedenktafel zu Ehren Warlam Schalamows

Am 30. Oktober wird in Moskau eine Gedenktafel mit einem Flachrelief Warlam Schalamows eingeweiht. Das Relief stammt von dem Bildhauer Georgij Frangulyan. Die Mittel hat die Kulturabteilung der Stadt Moskau zur Verfügung gestellt.

Das Museum für die Geschichte des GULAG organisiert den Festakt, auf dem auch Vertreter von MEMORIAL sowie von Verlagen, Künstlerverbänden und der Medien anwesend sein werden.

Schalamow hat 16 Jahre in den Stalinschen Lagern verbracht. Zu seinen Lebzeiten konnten nur fünf seiner Gedichtbände in der Sowjetunion erscheinen, alle anderen Bücher sowie seine gesamte Prosa erschienen in seiner Heimat erst nach 1989.

In Berlin wird derzeit im Literaturhaus eine Schalamow-Ausstellung gezeigt (bis 8.12.2013, siehe unsere Meldung unter "Veranstaltungen").

Dienstag, 29. Oktober 2013

Rückgabe der Namen

Es ist zu einer Tradition geworden, dass MEMORIAL in Moskau am 29. Oktober die Gedenkveranstaltung „Rückgabe der Namen“ durchführt. Sie findet am Solowezki-Stein auf dem Lubjanka-Platz statt und ist den Opfern des Großen Terrors gewidmet.

Der Solowezki-Stein stammt von den Solowezki-Inseln, wo sich die ersten Straflager des sowjetischen Regimes befanden. Er wurde 1990 nach Moskau gebracht und vor der Lubjanka, dem Sitz des Geheimdienstes KGB, zum Gedenken an die Opfer aufgestellt.

1937-1938 wurden allein in Moskau über 30.000 Personen erschossen. Im Verlaufe von zwölf Stunden (10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends) werden am 29. Oktober die Namen von Tausenden Erschossener mit knappen Angaben zu Beruf und Datum der Hinrichtung verlesen. Die Teilnehmer lösen sich in rascher Folge ab, jeder verliest nur einige Namen.

Der 29. Oktober ist bewusst gewählt: Es ist der Tag vor dem Gedenktag für die Opfer politischer Verfolgung. Ursprünglich war dies der „Tag des politischen Gefangenen“ in der Sowjetunion. Dieser wurde 1974 von politischen Gefangenen in den Lagern in Mordwinien und Perm ins Leben gerufen und seitdem jährlich in den Haftanstalten mit unterschiedlichen Protestaktionen, vor allem mit einem eintägigen Hungerstreik, begangen.

Am 30. Oktober selbst finden in Butovo (einer Hinrichtungsstätte nahe bei Moskau) und in vielen anderen russischen Städten Gedenkveranstaltungen statt.

Aus dem Aufruf von MEMORIAL:

„Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der dem Menschen ein höherer Stellenwert zukommt als dem Staat und in der der Staat dem Menschen dient, dann führt uns der Weg notwendig zum Solowezki-Stein.

Wenn wir unsere religiösen und nationalen Traditionen frei und ohne Angst pflegen wollen, dann werden wir zum Solowezki-Stein gehen.

Wenn wir sicher sein wollen, dass unser Eigentum geschützt wird und unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen können, dann werden wir zum Solowezki-Stein kommen.

Wenn wir Informationen, die uns und uns nahestehende Personen interessieren und auf die wir ein Recht haben, ohne Gefahr und furchtlos verbreiten wollen, dann kommen wir zum Solowezki-Stein.

Wenn wir Zugang zu allen geistigen Errungenschaften, zu Literatur und Kunst haben, wenn wir lesen und schreiben und die Bücher veröffentlichen wollen, die wir für wichtig halten, und nicht die, die uns der Staat aufzwingt, dann kommen wir ebenfalls zum Solowezki-Stein.

Wenn wir das Totalitäre in uns überwinden und die innere Freiheit in uns entfalten wollen, dann werden wir unvermeidlich eines Tages zum Solowezki-Stein kommen, um die Namen der Erschossenen zu verlesen.“

Quellen: http://www.memo.ru/d/175762.html
http://www.october29.ru/


Freitag, 25. Oktober 2013

Aufruf zu einer Amnestie. Erklärung aus Anlass des zehnten Jahrestages der Verhaftung von Michail Chodorkovskij

Wird die Staatsmacht die Kraft finden, das Verhältnis zur Zivilgesellschaft neu zu gestalten?


Vor zehn Jahren nahm eine Spezialeinheit am Novosibirsker Flughafen den Chef des Erdölkonzerns „Jukos“, Michail Chodorkovskij, fest. Er war gerade auf dem Weg nach Irkutsk, wo er auf dem Seminar „Business. Macht. Gesellschaft“ sprechen wollte. Zwei Tage später sollte er an einer Konferenz zivilgesellschaftlicher Organisationen in Moskau teilnehmen. Dies hätte eine neue Etappe im Verhältnis der Wirtschaft zur Zivilgesellschaft einleiten können.
Statt dessen jedoch ließ das Moskauer Basmannyj-Bezirksgericht Chodorkovskij verhaften. Der Ausdruck „Rechtsprechung à la Basmannyj“ ist inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden.
Zuvor waren bereits die „Jukos“-Mitarbeiter Alexej Pitschugin und Platon Lebedev auf Grund konstruierter Beschuldigungen inhaftiert worden.

Chodorkovskijs Verhaftung läutete eine neue Phase in Russlands politischem Regime ein, und das nicht nur, weil danach noch viele weitere Verhaftungen von „Jukos“-Mitarbeitern folgten. Der Kampf gegen „Jukos“ und generell gegen liberal eingestellte, unabhängige Akteure der Wirtschaft wurde zur Ideologie des Regimes.

Die Wirtschaft verlor ihre politische Selbstständigkeit. Die Unterstützung einer von der Regierung unabhängigen Zivilgesellschaft durch russische Unternehmen kam praktisch zum Erliegen. Es kam zu einer Welle betrügerischer Verfahren, das Beispiel von „Jukos“ wiederholte sich tausendfach. Mit fabrizierten Beschuldigungen wurden Unternehmer um ihr Vermögen gebracht, von ihnen gegründete Firmen beschlagnahmt, und viele kamen hinter Gitter.

Die beiden Chodorkovskij-Prozesse haben das Gerichtswesen korrumpiert. In vielen Punkten ist es heute sogar schlechter als seinerzeit die gelenkte sowjetische Justiz. In Folge der Konfiszierung von Eigentum auf Grund gefälschter Beschuldigungen entstand eine Schicht von „Unternehmern mit Schulterstücken“. Spionage-Prozesse überzogen das Land, deren Opfer bekannte Wissenschaftler wurden, und der internationale wissenschaftliche Kontakt nahm erheblichen Schaden.

In den vergangenen Jahren haben die „Geheimdienst-Oligarchie“, die Verschmelzung von Wirtschaft und (Macht-)Bürokratie zu einer präzedenzlosen sozialen Desintegration, einer in alle Bereiche eindringenden Korruption, einem Kollaps der Rechtsprechung als Institution, zu Kapitalflucht, massenhafter Emigration von Vertretern der „Mittelklasse“ und zu ökonomischer Stagnation geführt.

Die Zahl der politischen Gefangenen nimmt kontinuierlich zu. Die Verfahren gegen „Pussy Riot“, der „Bolotnaja-Prozess“ gegen Teilnehmer der Kundgebung am 6. Mai 2012, die Spionage-Prozesse gegen Wissenschaftler, das Verfahren gegen die Ökologen im Gebiet Krasnodar sowie gegen die 30 Greenpeace-Aktivisten der „Arctic Sunrise“ zeigen, dass die Machthaber elementare Rechtsnormen auf eklatante Weise missachten.

Das Land befindet sich ganz offensichtlich in einer Sackgasse. In der Gesellschaft wächst die Aggressivität, die jüngsten ethnischen Ausschreitungen sind hier nur erste Symptome.

Werden die Machthaber die Kraft finden, das Verhältnis zur Zivilgesellschaft neu zu gestalten? Der beste Weg  aus der Sackgasse wäre eine breit angelegte Amnestie. Diese müsste unbedingt alle Personen einbeziehen, gegen die politische oder betrügerische Wirtschaftsverfahren angestrengt wurden, sowie alle Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer der Strafjustiz waren. Dazu gehören zweifellos alle, die im Zusammenhang mit „Jukos“ verfolgt wurden, die Greenpeace-Aktivisten und die „Häftlinge des 6. Mai“.

Eine solche umfassende Amnestie wäre die letzte Chance, die russische Gesellschaft zu befrieden und einen realen Dialog zwischen ihr und den Machthabern einzuleiten.



Ljudmila Alexejeva, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe
Valerij Borschtschev, Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe
Svetlana Gannuschkina, Vorsitzende von „Grazhdanskoe sodejstvie“
Sergej Kovalev, Vorsitzender der Russischen Gesellschaft Memorial
Orleg Orlov, Mitglied des Menschenrechtszentrums Memorial
Lev Ponomarev, Direktor der Russischen Bewegung „Für Menschenrechte“
Alexander Tscherkasov, Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial
Ernst Tschernyj, Sekretär des Komitees zum Schutz von Wissenschaftlern
Vater Gleb Jakunin, Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Begründung der Gerichtsentscheidung zu MEMORIAL Rjasan



Inzwischen wurde die ausführliche Begründung bekannt, mit der ein Rjasaner Gericht am 16. Oktober die Klage von MEMORIAL Rjasan gegen die Verwarnung abgelehnt hatte (s. unsere Meldung v. 16.10.).

Das Gericht stimmt in seinen Aussagen weitgehend den Argumenten zu, die die Vertreter von MEMORIAL vorgebracht hatten. So hält es ausdrücklich fest, dass für die Verwarnung keinerlei rechtliche Grundlage bestand, sie sei „präsumptiv“. Weder die in der Satzung von MEMORIAL genannten Ziele noch die tatsächliche Tätigkeit des Verbands seien „politisch“ in dem Sinne, wie es im Zusammenhang mit dem „Agentengesetz“ definiert wurde, denn sie zielten nicht auf eine „Änderung der staatlichen Politik“ ab. Außerdem habe es keinerlei Hinweis auf eine mögliche oder geplante „extremistische Tätigkeit“ gegeben, was als weitere Begründung für die Verwarnung gedient hatte.

Die von den MEMORIAL-Vertretern beklagten Mängel in der russischen Gesetzgebung und die juristische Unklarheit bei der Definition „politischer“ Tätigkeit zu untersuchen lehnte das Gericht ab. Dies sei nicht Gegenstand des Verfahrens.

Das Gericht vertrat jedoch die Auffassung, dass die Verwarnung – obzwar unberechtigt – die Arbeit von MEMORIAL nicht einschränke und in seiner Arbeit nicht behindere, sie sei präventiv und verpflichte die Organisation zu keinerlei Maßnahmen. Mit diesem Argument lehnte das Gericht den Antrag von MEMORIAL ab, die Verwarnung zu annullieren.

Auf Grund der hier bestehenden Rechtsunsicherheit und der durchaus realen Beeinträchtigung seiner Arbeit wird MEMORIAL gegen diese Entscheidung Berufung einlegen.

In der Republik Tschuwaschien hat die Staatsanwaltschaft hingegen die präventive Verwarnung eines Bezirksstaatsanwalts, gegen die der Leiter einer dortigen NGO Beschwerde eingelegt hatte, für unzulässig erklärt. Sie stehe im Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen über die Aufgaben des Staatsanwalts. Präventive Verwarnungen dürfen demnach nur erteilt werden, wenn tatsächlich ein Anhalt für geplante Gesetzesverletzungen vorliegt.



Montag, 21. Oktober 2013

Von MEMORIAL in Russland betreuter Flüchtling wird nicht nach Nordkorea ausgeliefert

Moskauer Gericht verhindert Abschiebung


Offenbar in der Hoffnung, illegale Migranten zu finden, drangen am 10. Oktober FSB-Mitarbeiter, sekundiert von einem NTV-Film-Team, in eine Moskauer Wohnung ein, die die Flüchtlingshilfsorganisation „Grazhdanskoe sodejstvie“ (zivile Unterstützung) zur Unterbringung mittelloser Flüchtlinge gemietet hat. Ohne gültige Papiere trafen sie dort nur einen Flüchtling aus Nordkorea an, der von der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL betreut wird. Er wurde auf eine Polizeistation gebracht.

Darüber wurde umgehend bei NTV berichtet – allerdings war in der Sendung fälschlich von einem „illegalen Chinesen“ die Rede, der angeblich in der Privatwohnung von Svetlana Gannuschkina Unterschlupf gefunden hätte.

Am 12. Oktober entschied das Moskauer Butyrka-Bezirksgericht, nicht ohne Anwesenheit von FSB und NTV, den Antrag auf Abschiebung nicht einmal zu behandeln. Der Flüchtling wurde ins Polizeirevier zurückgebracht und nach 48 Stunden freigelassen.

In einer Presseerklärung hierzu schildert Grazhdanskoe sodejstvie das Schicksal des Flüchtlings: Noch als Minderjähriger ist er vor der Hungersnot in Nordkorea nach China geflohen, wo er in der Illegalität leben musste und schließlich doch ausgeliefert wurde. In Nordkorea wurde er zu 10 Jahren Haft verurteilt.
Die Haftbedingungen waren so unerträglich, dass er nach einem Jahr mit mehreren Mitgefangenen einen Fluchtversuch unternahm. Die meisten der anderen wurden gefasst und bezahlten den Versuch mit dem  Leben; ihm gelang es, erneut nach China zu entkommen. Um der ständigen Auslieferungsgefahr zu entgehen, floh er schließlich weiter nach Russland, wo jetzt sein Asylverfahren eingeleitet wird.

Quellen:

NTV-Sendung vom 10.10.2013: http://www.ntv.ru/novosti/673217/

Donnerstag, 17. Oktober 2013

MEMORIAL Rjasan verliert vor Gericht

Verwarnung gegen MEMORIAL Rjasan bleibt in Kraft


MEMORIAL Rjasan war der erste MEMORIAL-Verband, der nach den umfassenden Überprüfungen im Frühjahr im Zusammenhang mit dem „Agentengesetz“ am 23. April 2013 eine Verwarnung erhielt.

MEMORIAL Rjasan wurde darauf hingewiesen, dass seine Tätigkeit im Sinne seiner Satzung „politisch“ sei. Vor Gericht führte der Staatsanwalt ausdrücklich das von MEMORIAL betriebene Web-Portal „hro.org“ als Beleg dafür an.  Da der Verband finanziell aus dem Ausland unterstützt werde, dürfe er seine Arbeit nur fortsetzen, sofern er sich als „ausländischer Agent“ registrieren lasse.

MEMORIAL Rjasan hat gegen diese Verwarnung Widerspruch eingelegt. Wie die Juristen von MEMORIAL betonten, lagen der Staatsanwaltschaft bei der Überprüfung keinerlei Hinweise auf etwaige geplante Gesetzesverstöße vor. Somit bestand kein Anlass zu einer Verwarnung.
Ihrer Satzung entsprechend, auf die sich die Verwarnung ausdrücklich bezieht, will die Organisation mit ihrer Arbeit die Einhaltung der russischen Gesetzgebung und die Achtung der Menschenrechte fördern. Dies kann nach Auffassung der Vertreter von MEMORIAL nicht als „politische Tätigkeit“ ausgelegt werden.

Das Bezirksgericht in Rjasan folgte in seiner Entscheidung vom 16.10.2013 der Staatsanwaltschaft und erklärte die Verwarnung für rechtens – ein Urteil, das MEMORIAL erneut anfechten wird.

Montag, 14. Oktober 2013

Verhandlung der “Zivilklage” gegen ADZ MEMORIAL vertagt

Anwesenheit von Journalisten nicht erwünscht 


Die für den 14.10. anberaumte Gerichtsverhandlung im Zusammenhang mit der von der Staatsanwaltschaft gegen das Antidiskriminierungszentrum (ADZ) MEMORIAL Petersburg initiierten „Zivilklage“ wurde auf den 11. November vertragt, da kein Vertreter der „dritten Partei“ – des Justizministeriums – erschienen war.

Anders als bei einem Administrativverfahren kann das ADZ in Folge dieser Klage nicht nur zu einer Geldstrafe verurteilt, sondern auch zu bestimmten Maßnahmen gezwungen werden, etwa dazu, sich als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen. Zu diesem Schritt ist das ADZ nicht bereit.

Das Bezirksgericht gab mehreren Anträgen der Staatsanwaltschaft statt. So muss das ADZ Auskunft geben über sämtliche Kontenbewegungen seit Eröffnung der Konten bis zum 14.10.2013. Ob der dem Zentrum zur Last gelegte Bericht an die UNO über bedrohte Minderheiten als „politische Tätigkeit“ definiert werden kann, soll im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Experte der Pädagogischen Herzen-Universität/St. Petersburg untersuchen.

Der Antrag des ADZ, für die anstehende Verhandlung einen größeren Raum zur Verfügung zu stellen oder eine Videoübertragung zu ermöglichen, wurde hingegen abgelehnt. Nach Auffassung der Staatsanwältin würde die „Anwesenheit von Journalisten die Verhandlung stören“.

(Siehe auch unsere Berichte vom 26.9. und 9.10.2013)

Samstag, 12. Oktober 2013

Anerkennung für Svetlana Gannuschkina

Svetlana Gannuschkina wird mit Stieg-Larsson-Preis ausgezeichnet


Der Stieg-Larsson-Preis wurde 2009 von dem Vater und dem Bruder des schwedischen Autors sowie dem Verlag Norstedts gestiftet. Er wird jährlich an Personen oder Organisationen verliehen, die im Sinne Stieg Larssons tätig sind. Der Journalist und Autor Stieg Larsson (1954-2004) hat sich zeitlebens gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagiert und war deshalb häufig Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt.

Svetlana Gannuschkina erhält die Auszeichnung „für ihre „beharrliche und mutige Arbeit zum Schutz der Menschenrechte in Russland“. Sie habe mit dem Einsatz für die Rechte von Migranten und Zwangsumsiedlern eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Demokratie in Russland gespielt. „Trotz aller Bedrohungen und politischen Schwierigkeiten setzt sie die Arbeit in zwei Organisationen fort, die täglich Menschen helfen, die Diskriminierungen und Gewalt erfahren.“

Svetlana Gannuschkina und ihre Organisationen – das Menschenrechtszentrum Memorial sowie die Flüchtlingshilfsorganisation „Grazhdanskoe sodejstvie“ - wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2003 mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International und 2004 mit dem Nansen-Flüchtlingspreis. 2012 nannte das Magazin „Newsweek“ Gannuschkina eine der 150 mutigsten Frauen der Welt.

Die verdiente Anerkennung bleibt ihr im eigenen Lande häufig versagt. Der berüchtigte Sender NTV hat kürzlich in bekannter Manier eine Hetzsendung gegen sie ausgestrahlt und der „skandalträchtigen“ Menschenrechtlerin unterstellt, Immigranten Unterschlupf zu gewähren, die wegen Mitgliedschaft in ungesetzlichen bewaffneten Einheiten vorbestraft seien oder mit den SIcherheitssorganen in anderen Ländern „Probleme hätten“ – eine Aussage, die für politische Flüchtlinge nahezu zwangsläufig zutrifft.

Svetlana Gannuschkina wird die Auszeichnung am 7. November in Stockholm entgegennehmen.

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Gerichtsentscheid zugunsten der Direktorin des ADZ MEMORIAL Petersburg

Am 7. Oktober verhandelte ein Petersburger Bezirksgericht über das Administrativverfahren gegen das Antidiskriminierungszentrum (ADZ) MEMORIAL Petersburg sowie gegen dessen Direktorin Olga Abramenko.

Nachdem der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einleitung eines Strafverfahrens zuvor in mehreren Instanzen gescheitert war, hatte das Petersburger Stadtgericht entschieden, dass ein Bezirksgericht den Fall, konkret den Einspruch der Staatsanwaltschaft gegen die Abweisung einer Klage durch die erste Instanz (ein Friedensgericht), behandeln müsse.

Im Verfahren gegen Olga Abramenko bestätigte das Gericht den Entscheid der ersten Instanz zugunsten des ADZ und folgte hiermit der Argumentation von Olga Zejtlina, der Anwältin des Zentrums. (Das Urteil im analogen Administrativverfahren gegen das ADZ selbst erfolgt vermutlich nächste Woche.)

Die erste Instanz hatte den Antrag auf Einleitung eines Verfahrens abgewiesen, da es bei der Überprüfung des ADZ zu gravierenden Fehlern und Gesetzesverstößen durch die Staatsanwaltschaft gekommen sei. Diese Fehler habe die Staatsanwaltschaft nicht bestritten, so Olga Zejtlina. Daher hätte der Staatsanwalt die Beanstandungen des Gerichts innerhalb von drei Tagen berücksichtigen und die Fehler beheben müssen, statt die Entscheidung des Gerichts anzufechten.

Abgesehen von diesem Administrativverfahren läuft noch ein weiteres gegen das ADZ MEMORIAL Petersburg, das die Staatsanwaltschaft "im Interesse eines "unbestimmten Personenkreises" eingeleitet hat (s. unsere Meldung vom 26.9). Verhandelt wird hier am 14. Oktober.

Mittwoch, 9. Oktober 2013

„Wir lassen uns nicht unterkriegen – Russlands Zivilgesellschaft unter Druck“

Unter diesem Titel fand am 7. Oktober im Foyer des Kammermusiksaals der Philharmonie von Berlin vor dem Konzert für Menschenrechte eine Gesprächsrunde statt. Astrid Frohloff (Reporter ohne Grenzen) sprach mit Svetlana Gannuschkina (Memorial, „Zivile Unterstützung“) und Peter Franck (Amnesty International).
Swetlana Gannuschkina erläuterte die Gründe für ihr Ausscheiden aus dem Menschenrechtsrat beim Präsidenten, dessen Mitglied sie jahrelang gewesen war. Unmittelbarer Anlass war am 24. September 2011 die Erklärung von Präsident Medvedev, für eine weitere Amtszeit nicht zu kandidieren. Diese Entscheidung sei vor vier Jahren mit Putin abgesprochen worden. Für Svetlana Gannuschkina war dies ein Schlag ins Gesicht – sie fühlte sich als Vertreterin der Zivilgesellschaft und als Staatsbürger so wenig ernst genommen, dass sie ihre weitere Tätigkeit in einem Rat beim Präsidenten nicht mehr für sinnvoll hielt.

Die folgende Zeit habe ihre negativen Erwartungen bestätigt: Gegen jedes der restriktiven Gesetze, die nach Putins Amtsantritt verabschiedet wurden, meldeten sowohl der Vorsitzende des Menschenrechtsrat Fedotov als auch der Menschenrechtsbeauftragte Lukin bei Präsident Putin immer wieder Bedenken an und übergaben ihm persönlich ausführliche Gutachten, die die geplanten Gesetze analysierten und eindringlich kritisierten. Keiner ihrer Einsprüche hatte Erfolg.

Svetlana Gannuschkina berichtete über die Überprüfungen bei den beiden Organisationen, denen sie angehört – dem Menschenrechtszentrum Memorial und „Zivile Unterstützung“ – einer Flüchtlingshilfeorganisation. Das Menschenrechtszentrum erhielt danach eine Aufforderung, sich als „ausländischer Agent“ zu registrieren. Natürlich hat das Zentrum Widerspruch eingelegt, die Gerichtsverhandlung wurde mehrfach vertragt und ist jetzt für den 18. November anberaumt.

Die Mitarbeiter von „Zivile Unterstützung“ hatten, nachdem die Staatsanwaltschaft immer absurdere Forderungen gestellt und innerhalb kürzester Zeiträume Unmengen von Unterlagen verlangt hatte, sich schließlich geweigert, diesen Forderungen nachzukommen. Dafür wurde die Organisation mit einer Strafzahlung belegt, die inzwischen (nach erfolglosem Widerspruch) rechtskräftig ist. Außerdem hat die Organisation gegen die Überprüfung selbst geklagt, die in ihren Augen gesetzwidrig ist. Das Urteil steht noch aus, und Svetlana Gannuschkina rechnet mit weiteren Überprüfungen.

Für Peter Franck ist das Gesetz schon wegen seiner mangelnden Präzision und ungenauen Bestimmungen problematisch. So ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Jede Organisation, die in irgendeiner Weise versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen, kann als politisch tätig eingestuft werden. Wenn sie Fördergelder aus dem Ausland erhalten hat, gilt sie damit als "ausländischer Agent".

Peter Franck wie Svetlana Gannuschkina wandten sich ausdrücklich an eventuell anwesende Vertreter Russlands, etwa Mitarbeiter der Russischen Botschaft, und betonten, dass sich die Arbeit ihrer Organisationen keineswegs gegen Russland richte. Im Gegenteil, "wir lieben unser Land", so Svetlana Gannuschkina.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Ales Bjaljatski erhält Václav-Havel-Preis

Ales Bjaljatski, politischer Gefangener in Belarus, ist am 30. September mit dem Václav-Havel-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet worden, den die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) in diesem Jahr erstmals verliehen hat. Dieser Preis soll Personen für ihren herausragenden Einsatz für Menschenrechte würdigen. 2012 war Bjaljatski bereits von der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Petra-Kelly-Preis geehrt worden. Er wurde bereits mehrfach, zuletzt im Februar dieses Jahres, für den Nobelpreis nominiert, ebenso ist er in der engeren Wahl für den Sacharov-Preis des Europäischen Parlaments.

Bjaljatski ist Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Vjasna, zu deren Gründern er  1996 gehörte und die 2003 verboten wurde (das belorussische Obersten Gericht hat ihre Registrierung annulliert). Seit 2007 ist er Vizepräsident der FIDH (Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme, ein Dachverband mehrerer Menschenrechtsorganisationen). Er hatte sich über zwei Jahrzehnte intensiv für Opfer politischer Verfolgungen in seinem Land eingesetzt. Im August 2011 wurde er verhaftet und am 24. November 2011 zu viereinhalb Jahren Freiheitsentzug wegen angeblicher Steuerhinterziehung verurteilt. – Für den inhaftierten Bjaljatski nahm seine Frau, Natalia Pintschuk, den Preis entgegen.

Mit Václav Havel war Bjaljatski persönlich bekannt. Drei Tage vor seinem Tod richtete Havel an ihn und eine Reihe weiterer politischer Gefangener in Belarus einen Brief aus Anlass des bevorstehenden Jahreswechsels, in dem er sie seiner Unterstützung versicherte.

Siehe auch: http://freeales.fidh.net/2013/09/bialiatski-receives-pace-human-rights-prize/
http://freeales.fidh.net/2011/12/havels-last-letter-to-belarusian-jailed-activists/
http://www.hro.org/node/17576

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Bundespräsident Gauck besucht GULAG-Ausstellung

Bundespräsident Joachim Gauck ist am 30. September mit dem Vorsitzenden der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL Arsenij Roginskij zusammengetroffen. Anschließend begleitete Roginskij den Bundespräsidenten durch die GULAG-Ausstellung, die derzeit im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt wird. Die Ausstellung "GULAG. Spuren und Zeugnisse 1929-1956" ist ein gemeinsames Projekt von MEMORIAL und der Gedenkstätte Buchenwald.

Gesprächsthemen waren die Kernpunkte der Arbeit von MEMORIAL – die Auseinandersetzung mit der totalitären Vergangenheit sowie die aktuelle Menschenrechtslage in Russland heute und die Entwicklung der Zivilgesellschaft.Gauck würdigte ausdrücklich das Wirken von MEMORIAL in Russland.

Justizministerium setzt Tätigkeit eines Golos-Verbandes für drei Monate aus

Nachdem das russische Justizministerium bereits die Tätigkeit der Assoziation „Golos“ (die Stimme) bereits für ein halbes Jahr ausgesetzt hatte, wurde diese Maßnahme jetzt auch gegen einen ihrer Verbände angewandt. Am 30. September verfügte das Justizministerium, dass die "Regionale gesellschaftliche Organisation zum Schutz demokratischer Rechte und Freiheiten ‚Golos‘" für die kommenden drei Monate (bis zum 30. Dezember) nicht tätig sein darf. Das bedeutet, dass sie keinerlei Aktionen und Veranstaltungen durchführen und keine Zahlungen vornehmen darf, abgesehen von obligatorischen Zahlungen (Gehälter, Miete, Steuern, Strafen).

Grund für diese Maßnahme ist die Weigerung der Organisation, eine Eintragung in das Verzeichnis „ausländischer Agenten“ zu beantragen. In derselben Angelegenheit war im Juni bereits eine Strafzahlung in Höhe von 300.000 Rubeln (ca. 7.000 Euro) verhängt worden.

Bedeutende Auswirkungen auf die Tätigkeit von Golos wird dies nicht haben. Im Juli haben Mitarbeiter der Assoziation Golos, deren Tätigkeit bereits ausgesetzt war, die "Interregionale Bewegung zum Schutz der Wählerrechte 'Golos'" ins Leben gerufen. Diese sucht die Arbeit der Assoziation Golos fortzuführen und dabei ohne ausländische Fördergelder auszukommen. Sie wirbt intensiv um Spenden aus Russland selbst.